Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Kolumne: Morgens siehst du aus wie ein toter Clown!

Wir müssen reden!

Morgens siehst du aus wie ein toter Clown! Das ist ein Spruch von vielen, die ich mir tagein tagaus anhöre in meiner unfreiwilligen Wohngemeinschaft. Unfreiwillig? Leo ist ein Wunschkind und das sogar von beiden Eltern! Und natürlich will ich meinen Sohn auch bis zum Tage seiner Selbständigkeit begleiten. Wenn ich jedoch unabhängig und kinderlos wäre und mir vorstelle, ich setzte mich an einen Tisch und interviewe mögliche WG Partner, dann würde mein Sohn nach 5 Minuten Gespräch rausfallen. Vermutlich würde sogar reichen, ihn zur Tür reinkommen zu sehen: Sportkleidung, Baseballkappe, Kopfhörer und mit dieser leicht gebeugten Haltung, würde er sehr langsam in meine Wohnung kommen, alles an ihm rufend:

Chill mal!

Ja ok, ich ignoriere gerade, dass Leo erst 16 ist und natürlich würde ich mir keinen Jugendlichen als Mitbewohner suchen.

Die Emphatiefähigkeit geht kurzzeitig verloren bei den Jugendlichen

Viele Dinge, die mein Sohn zu mir sagt, stimmen. Ich hatte mich noch nicht so detailliert mit dem Thema beschäftigt, aber seitdem mein Sohn es mir gesagt hat, sehe ich morgens im Spiegel einen toten Clown. Inzwischen schaue ich morgens gar nicht mehr in den Spiegel. Eine gute Freundin von mir ist Psychotherapeutin für Jugendliche und hat mir vor kurzem erklärt, dass sich bei den Jugendlichen ab dem 12. Lebensjahr viel verändert, sodass bei ihnen scheinbar jegliche Empathiefähigkeit verloren ginge. Sie seien so sehr mit diesen Veränderungen und neuen Aufgaben und Möglichkeiten beschäftigt, dass ihr Verhalten oft sozial sehr ungeschickt wirkt. Sie sagt, in dem Bewusstsein der Jugendlichen ändere sich viel, aus dem kindlichen „Wir Bewusstsein“ meist bezogen auf Familie und das engere Umfeld wird ein jugendliches „Ich-Bewusstsein“. Das Selbstbewusstsein und damit das „Verantwortung für sich und das eigene Handeln übernehmen“ kommt dann erst langsam mit dem jungen Erwachsenenalter.

Für mich klingt diese Information, als brauche dieser Prozess meines Sohnes sehr sehr viel Geduld von meiner Seite.

Besuch von Leos Vater

Leos Vater kommt nur selten zu Besuch, an diesem Tag jedoch, kündigt er sich auf der Durchreise an. Er sei einen Tag hier in der Stadt und ich bin so großzügig, ihm anzubieten, bei uns zu übernachten und mich selbst zu einem Freund auszuquartieren. Meinem Sohn zuliebe überlasse ich beiden meine Wohnung, weil ich hoffe, dass Leo auf diesem Weg mehr Zeit mit seinem Vater verbringen kann und dafür würde ich sehr viel tun. 

Es ist wieder einmal etwas schiefgegangen, der Vater unseres Sohnes kommt viel später als vereinbart, was wiederum meine Planung ins Wanken bringt.

Eine gute Mutter bleibt ruhig und stellt das Wohl des Sohnes vor das eigene…

Ich übernachte schließlich im Haus eines Freundes auf dem harten Futon, werde morgens viel zu früh von einem Hundekuss geweckt und frage mich: wofür das alles? Ach ja, für unseren Sohn!

Du bist eine schlechte Mutter!

Am nächsten Abend bin ich dann todmüde endlich wieder zu Hause, mit der Grundhaltung jetzt könnte sich unser Kind mal bedanken oder zumindest sehr freundlich zu mir sein. Leo fängt jedoch eine Diskussion an, warum er irgendetwas, was wir bereits besprochen haben, nicht von mir erlaubt bekommt.

Ich gebe bereitwillig Auskunft und bleibe bei meiner Haltung.

Dann die Bombe:

  • Du bist eine schlechte Mutter!

Habe ich mich gerade verhört? Nachdem ich zwei Tage lang mir den A… aufreiße, damit er mit seinem Vater Zeit verbringen kann? Ich dabei kaum schlafe, den gesamten „Vaterkommtwiedermalzuspätärger“ aushalte, damit die Situation ruhig bleibt…

Das war zu viel! Eine Welle der Empörung reißt mich mit und ich sage genau das, was ich eben beschrieben habe, dass ich mir den A… für ihn aufreiße, unglaublich unbequem übernachte und das ist der verdammte Dank? Ich schreie laut, bin ungerecht und schmeiße mit Vorwürfen um mich als gäbe es kein Morgen.

Mein Sohn sitzt am Tisch wie ein nasser Hund nach einem Gewitter. Ich bin fertig und er fragt:

  • Kann ich in mein Zimmer gehen?

Wir müssen reden

Also sitze ich alleine da und komme so langsam wieder zu mir. Jetzt ist Sortieren gefragt, und in Ruhe meine Position überdenken. Ja, der Sohn hat eine Grenze überschritten und mich damit verletzt. Beim Nachdenken stelle ich fest, dass er emotional mit seiner gesammelten Jugendegozentrik so einen enorm großen Platz einnimmt, dass für mich kaum noch etwas übrig ist.

„Wir müssen reden“, da war er wieder, der von Leo gefürchtete Satz.

Diesmal in Ruhe und sortiert:

„Es gibt bestimmte Regeln im Zusammenleben mit mir, die du akzeptieren musst. Du darfst denken, ich sei eine schlechte Mutter, aber ich will das von dir nicht hören, erzähl es deinen Freunden, wenn du willst!“

Es ist eine lange Unterhaltung, besser gesagt ein Monolog, diesmal ruhig. Die Reaktion darauf von meinem Sohn ist:

  • Ich will schlafen, bist du fertig?

Es ist noch früh am Abend, aber ich vermute die Festplatte meines Sohnes ist voll, das System muss erstmal runtergefahren werden.

Ich bin nicht stolz auf meinen emotionalen Ausbruch, aber ich denke: Bestimmt ist es sinnvoll, dass Jugendliche ab und zu daran erinnert werden, dass es Menschen gibt außerhalb ihres Egos, die eigene Gefühle haben. Dass sein Verhalten Konsequenzen hat für andere, in diesem Fall für mich, ist auf diesem Weg bestimmt eine wichtige Information.

Ach ja und ansonsten war es einfach unglaublich gut für mich, einmal unkontrolliert herumzubrüllen, ich kann das nur weiterempfehlen!

Du bist nicht mehr meine Mama!

Ich hatte die letzten Jahre Zeit zu üben denn schon mit 3 Jahren hatte Leo eine Phase, wo er, wenn er sehr wütend war oder etwas von mir wollte, es aber nicht bekam, ganz laut: „Du bist nicht mehr meine Mama!!!“ rief.

Auch wenn es gefühlt für ihn sicher sehr dramatisch war in dem Moment, konnte ich das damals ohne große Kränkung meines Mamaegos hinnehmen. Ich würde sagen, ich hatte sogar manchmal große Schwierigkeiten, nicht lachen zu müssen bei dieser großen Ansage meines so kleinen Sohnes.

Und auch wenn der Inhalt der Worte ähnlich vernichtend ist bei dem 3-Jährigen und dem 16-Jährigen, mache ich den 16-Jährigen für seine Aussage verantwortlich und ich vermute, das ist richtig so. Oder sind 16-Jährige aufgrund ihrer verwirrenden Hormonschübe und plötzlichen neuen Neuronenverbindungen nicht wirklich zurechnungsfähig und somit auch nicht wirklich in der Verantwortung für ihre Taten und Worte? Ich bin mir nicht sicher und werde das Phänomen weiter beobachten. Meine Freundin würde sagen der 3-jährige Leo lebt noch in seiner „Wir Welt“.  Die „Ich Welt“ meines jugendlichen Sohnes ist im Vergleich dazu für mich eine echte Herausforderung, aber auch hier sagt meine Freundin, die Expertin, das sei völlig normal.

  1. Sandra F.

    Liebe Stefanie. Das Erwachsen- und reifer werden ist eine komplizierte Angelegenheit. Du hast es sehr gut beschrieben. Auch die klare Ansage, wie Du Dich dabei fühlst, kann man nachvollziehen. Leo bestimmt auch.

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