Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Pfeilsenderstories

Was nehme ich mit, wenn‘s brennt?

Als ich gestern Abend mit dem Fahrrad nach Hause fahre, sehe ich von Weitem, dass die Paral·lelstrasse gesperrt ist. Alles ist voll mit Polizei- und Feuerwehrautos und dann sehe ich den Grund der Straßensperre: Eine Wohnung in einem großen Wohnblock brennt lichterloh!

“Hoffentlich konnten alle Bewohner rechtzeitig raus aus der Wohnung und niemandem ist etwas Schlimmes passiert!” denke ich und fahre einen Umweg nach Hause. Heute Morgen lese ich in den Barceloner Onlinenachrichten, dass es nur einen leicht verletzten Mann gibt, dem Rest der Familie ginge es gut. Was für ein Glück!

Trotzdem gibt es jetzt eine Familie, die vor dem absoluten materiellem Nichts steht. Wenn die Wohnung noch rechtzeitig gelöscht wurde, können sie vielleicht sogar in diese zurück. Wie gruselig ist wohl der Moment in die eigene Wohnung nach einem Brand zurückzukommen. Vielleicht steht dann noch ein Rest eines Sofas, ein verschmortes Bücherregal, die Pfanne auf dem Herd, mit der gerade eine Kartoffeltortilla gebraten wurde… Ich schaue mich in meiner Wohnung um und überlege, was wohl einen Brand überstehen würde? Mein Couchtisch aus Metall vielleicht und meine Keramiksachen, die wurden bei sehr hohen Temperaturen gebrannt und halten bestimmt einiges aus.

Meine Bücher, meine Zeichnungen, meine Fotos, meine Bilder an der Wand, alles würde verbrennen und mir blieben: ein Couchtisch und Keramiktassen…

Was würde ich mitnehmen, wenn die Wohnung brennt?

Was ich mich schon oft gefragt habe ist: Was würde ich mitnehmen, wenn meine Wohnung brennt und ich noch ein paar Sekunden habe, um etwas besonders Wichtiges mitzunehmen.

Sind es die Fotoalben? Oder der Computer, auf dem sehr viele Arbeiten und Fotos der letzten Jahre gespeichert sind? Oder ganz schnell die Schublade mitnehmen, in der die Pässe und Papiere liegen?

In der Serie „This is us“ (Achtung Spoiler!) brennt das Haus der Familie. Die ganze Familie ist bereits draußen, als sie den Hund bellen hören. Jack, der Familienvater klettert todesmutig wieder ins Obergeschoss und kommt mit Hund und einer Tasche mit Fotoalben und Videotapes alter Familienaufnahmen wieder. Alle sind safe, die Zuschauer erleichtert. Leider stirbt Jack kurz darauf im Krankenhaus mit einer Rauchvergiftung.

Jetzt hat die Familie den Hund, die Fotoalben und ein Video von Familienszenen, als die Kinder klein waren mit dem Vater. Leider ist der Vater nicht mehr da. Was können wir daraus lernen? Wenn das Haus bereits richtig brennt, auf jeden Fall einfach rausrennen ohne Andenken, im schlimmsten Fall sogar ohne das Haustier.

120 Sekunden, um die Wohnung zu verlassen

Nachdem ich im Internet „Was tun, wenn es brennt?“ eingebe, stoße ich auf ein Feuerwehrvideo, indem erklärt wird, man habe meist nur 120 Sekunden, um die Wohnung oder das Haus im Brandfall zu verlassen. Wie kommt die Feuerwehr auf diese Zahl? Angeblich ist es die durchschnittliche Zeit, die bleibt, wenn der Rauchmelder anspringt, bevor alles in Flammen aufgeht. Ich schaue an meine Decken und sehe keine Rauchmelder, na prima! Ansonsten wohne ich im 9.Stock, falls also auch das Treppenhaus betroffen ist, werden wir hier oben festsitzen. Diesen Gedanken will ich jetzt nicht weiter vertiefen.

Die Feuerwehr rät, nur das Handy und die Haustürschlüssel mitzunehmen und sofort die brennende Wohnung zu verlassen. Dann sollte man auf jeden Fall die Tür hinter sich schließen, aber nicht mit dem Schlüssel abschließen. Warum ist es wichtig, den Haustürschlüssel mitzunehmen? Ich stelle mir die Filmszene vor, in dem ein Haus abbrennt. Am nächsten Morgen steht die Familie weinend vor den Trümmern ihrer Existenz. Plötzlich wird die traurige Filmmusik hoffnungsvoll und es wird das lächelnde Gesicht der Mutter eingeblendet, die in Zeitlupe die Haustürschlüssel aus ihrer Hosentasche zieht. Die Familie fällt sich lachend in die Arme, das ist ja nochmal gutgegangen!

Auf anderen Seiten finde ich ganze Listen von Dokumenten, die man mitnehmen sollte im Falle eines Brandes: Personalausweise, Versicherungen, Fahrzeugschein… Ich denke, auch wenn es doof ist, keinerlei Dokumente mehr zu haben nach einem Brand, ist der Tipp der Feuerwehr direkt rauszulaufen sicher der beste.

Was brauche ich wirklich?

Zurück zu meiner Ausgangsfrage: Falls es in meiner Wohnung erstmal nur ein bisschen brennt und ich noch ein paar Sekunden habe, was wäre denn wirklich wichtig? Wenn nur entweder Fotoalben oder Papiere oder Computer ginge? Wofür würde ich mich entscheiden?

Die Romantikerin in mir tendiert zu den Fotoalben, vermutlich wären aber Papiere oder Computer die bessere Idee. Hoffentlich werde ich nie vor dieser Entscheidung stehen. Und wenn ich wirklich einmal vor dieser Entscheidung stehen sollte, werde ich vermutlich irgendetwas greifen, was in meiner Nähe ist und aus der Wohnung rennen.

Das Schlimmste an einem Wohnungsbrand ist natürlich, wenn eine Person verletzt ist oder sogar stirbt. Ich spreche hier also sozusagen von der Luxusvariante des materiellen Verlustes. Dann gehe ich durch meine Wohnung, schaue in Schubladen und Schränke und überlege, was meine wichtigsten Dinge sind. Ich sehe Bücher, die mich seit vielen Jahren begleiten, meinen Lieblingspullover, die Tasse, aus der ich jeden Morgen meinen Tee trinke. Eine Mappe mit Kinderzeichnungen von meinem Sohn. Ich komme an den Kisten voll mit Zeichnungen und von mir illustrierten Kinderbüchern vorbei. Dann fällt mein Blick auf Hefte, in denen ich manchmal meine Träume aufschreibe. Ein Jahreskalender mit allen Adressen, immer noch analog.

Alles das, wäre einfach weg!

Auswandern nach Barcelona ohne materiellen Ballast

Mir kommt die Zeit in den Sinn, als ich mit 26 Jahren nur mit einem Rucksack nach Barcelona gekommen bin. Auch damals hatte ich bereits einige Möbel und anderen Kram aus meiner damaligen WG angesammelt. Das Wichtigste davon habe ich bei meinen Eltern im Keller in Kisten gelagert. Ich weiß noch genau, wie vor meiner Abreise nach und nach mein Schlüsselbund kleiner wurde. Erst gab ich meine Wohnungsschlüssel zurück, dann die Büroschlüssel, wo ich damals gejobbt hatte. Mein Fahrradschlüssel war der letzte, den ich zusammen mit meinem Fahrrad zurückließ.

Ich war damals irgendwie erleichtert, und hatte das Gefühl noch einmal ganz von vorne anzufangen ohne jeden Ballast. Tatsächlich habe ich nie wieder auch nur einen Gegenstand von denen, die ich zurückgelassen habe, wirklich vermisst. Außer mein Fahrrad, was ich Jahre später nach Barcelona geholt habe und was mir dann hier gestohlen wurde.

Ich habe also tatsächlich nichts von alledem, was ich hatte, wirklich gebraucht zu meinem Glück.

Nostalgie in alten Kisten

Erst letztes Jahr habe ich nach 25 Jahren die Kisten meines damaligen Lebens wieder geöffnet, um den Keller meiner Eltern auszuräumen. Ich habe Dinge wiedergefunden, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie hatte. Kennt ihr noch die spiralförmigen Wasserkocher? Ich fand einen selbstgemachten Teekannenuntersetzer mit einem Teelicht darin. Eine bunte Hängematte aus Venezuela, alte Schulbücher und die Unterlagen meines ersten Jahres Biologiestudiums, bevor ich den Studiengang wechselte.

Ich fand auch eine Kiste mit alten Briefen, die ich las und die mich sehr berührten. Briefe meines damaligen Partners und den einen oder anderen von mir, den ich nie abgeschickt hatte. Darin klang alles irgendwie dramatisch und ich fühlte mich in die Zeit meiner Jugend zurückversetzt. Dazwischen ein Brief von einem Andreas aus Bonn, wer ist dieser Andreas aus Bonn? Er schreibt lustig und intelligent an mich und ich weiß überhaupt nicht mehr, wer das war. Ich finde Briefe meiner Schwester aus der Zeit, als sie in Indien war und Briefe von Freund/Innen, die mir nach Andalusien geschrieben haben, als ich im Studium dort war. Die Briefe sind so schön, manche handgeschrieben, beklebt, mit kleinen Zeichnungen versehen. Und dann liegen dazwischen die Postkarten, wie wunderbar!

Aus meinen Kisten nehme ich mir ein gutes Küchenmesser und ein paar schöne alte Gläser mit, sonst nichts. Die Briefekiste hebe ich auf mit den alten Tagebüchern, die sind auf jeden Fall auch jetzt noch wertvoll für mich.

Ein letzter Blick in meine Wohnung heute. Es gibt nicht viel, was ich wirklich brauche von all dem, was ich habe. Durch einen Brand alles zu verlieren ist sicher traumatisch. Trotzdem ist es interessant für mich darüber nachzudenken, was ich wirklich brauche von all dem, was mich umgibt. Es ist nicht viel und der Gedanke nichts mehr davon zu haben ist bei aller Trauer auch ein bisschen attraktiv für mich. Wieder bei null zu starten ohne jeden Ballast und das Leben auf das absolut wesentliche zu beschränken. Ein Handy und einen Haustürschlüssel zum Beispiel.

  1. Fritzchen

    Du hast mich an den Feuermelder erinnert. Morgen kaufe ich einen neuen. Danke. Deine Story, wahr oder nicht, hat mich wieder sehr gefangen. Auf dem Weg nach Göttingen habe ich sie meinen Freunden vorgelesen. Sie waren begeistert. Bis auf eine Neue!

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