Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Kolumne: Morgens siehst du aus wie ein toter Clown!

Zoomkonferenz vor der Klassenfahrt

Endlich wieder möglich: Eine 4-Tages Fahrt mit der 11.Klasse nach Bilbao! Die Jugendlichen und die meisten Eltern sind sehr glücklich über diese Reise. Ich freue mich darüber, dass nach so langer Zeit der Einschränkungen wieder neue Freiheiten da sind für meinen Sohn.  Der zweite Grund meiner Freude ist, dass ich 4 Tage hier alleine sein werde. Die Fahrt wurde sehr kurzfristig organisiert und ist somit relativ teuer. Die einzige Frage, die ich mir also erstmal stellen muss ist: Kann ich das so spontan bezahlen? Meine Antwort ist: Irgendwie wird’s schon gehen und damit ist für mich alles Wichtige geklärt.

Kein Alkohol, sonst droht Heimreise

Mein Sohn ist glücklich und freut sich, dass sie in ein Hotel gehen, in dem es Frühstücksbüfett gibt. Bilbao ist eine Stadt, die er kennt, denn da lebt sein Vater mit Familie, aber auch das ist ihm egal. Hauptsache wegfahren mit Freunden und heimlich Party machen.

Es gibt noch ein paar formale Dinge zu unterschreiben als Eltern. Wir bekommen einen Zettel mit den Grundregeln: außerhalb des Programms immer mindestens zu viert rumlaufen, erreichbar sein über Handy etc. Dann stoße ich auf einen Punkt, der mich besonders anspricht: Alkohol oder andere Substanzen sind strikt verboten, bei nicht Beachten wird der oder die Jugendliche sofort nach Hause geschickt. Auf Kosten der Familie, versteht sich. Oh, oh, ich bespreche das mit meinem Sohn und anstatt zu sagen:

„Mach dir keine Sorgen Mama, ich werde keinen Tropfen Alkohol anrühren in den 4 Tagen!“, sagt Leo:

„Das merken die doch eh nicht, wenn wir heimlich was trinken!“

Habe ich meinen Sohn zu liberal erzogen? Ich stelle klar, dass die Reisekosten bei vorgezogener Rückkehr auf sein Konto gehen würden. Er ist einverstanden, denn in seiner Phantasie kann ja sowieso nichts passieren.

Zoomkonferenz mit den Eltern

Eine Mail kündigt eine Zoomversammlung mit Eltern und Lehrerinnen an, um nochmal über die Klassenfahrt zu sprechen. Ich hoffe, es wird kurz und informativ.

Drei Parallelklassen fahren zusammen weg, ich sitze also vor dem Bildschirm mit ungefähr 50 Fenstern. Wie immer bin ich erstaunt, dass es Menschen in meinem Alter gibt, die nach 2 Jahren Pandemie immer noch nicht in der Lage sind, ihr Gesicht mit Oberkörper in einer Kamera zu zeigen. Ich sehe das halbe riesengroße Gesicht eines Mannes, auf dessen Fenster Montserrat steht. Ein Kinn von unten einer Mutter und Einstellungen, die so weit von der Kamera entfernt sind, dass man nur einen schwarzen Schatten sieht. Natürlich gibt es auch gut erkennbare Gesichter, von denen ich außer zweien niemanden kenne.

Es geht los, das gesamte Programm der 4 Tage wird aufgezählt. Guggenheimmuseum, Fahrt nach San Sebastian, eine Kayaktour, alles ist dabei. Freizeit gibt es kaum, laut der Lehrerin, die gerade spricht, haben sich das die Schüler so gewünscht. Leo sagt hinterher, niemand hätte sich das gewünscht, aber egal, ich werde mich nicht einmischen. Mittag und Abendessen organisieren sich die Kids in 4ergruppen alleine. Ich freue mich darüber, dass es jeden Tag ein paar Stunden gibt, an denen die Jugendlichen alleine sind und machen können, was sie wollen.

Sorgen übers Essen, ist das euer Ernst?

Die Mikros werden für Fragen geöffnet. Der Mann mit dem halben Gesicht fragt:

„Wisst ihr denn dann, wo genau die Jugendlichengruppen hingehen zum Essen?“

Die Lehrerin sagt, das sei nicht geplant, denn es gäbe ja hinterher feste Treffpunkte und alle hätten ja ein Handy. Eine andere Mutter äußert ihre Sorgen, dass die Kinder ja dann nicht immer gute warme Mahlzeiten zu sich nehmen. Ich fange an, nervös mit meinem Stuhl zu kippeln. Jetzt redet das Gesicht, was man nur von unten sieht, also das Kinn von Gabriela:

„Wenn die Jugendlichen Geld für Essen dabei haben, wäre es nicht vielleicht gut, wenn ihr Lehrer erstmal das Geld an euch nehmt und es jeden Tag verteilt?“

Die netten Lehrerinnen bleiben freundlich und erklären, dass das eigentlich nicht geplant sei. Ich schalte mein Mikro ein und weiß ab dem Moment, alle Eltern, die gerade gesprochen haben, werden mich vermutlich nicht mögen. Ich sage nicht, dass ich die Mutter von Leo bin, damit er keine Nachteile dadurch hat.

Nur wer sich verwickelt kann sich entwickeln!

„Ich finde es total gut, dass die Jugendlichen selber aussuchen, was und wo sie essen wollen. Ich hätte in dem Alter vermutlich Dinge im Supermarkt gekauft, um mein Geld für andere coole Dinge zu sparen. Die Kids sind 17 und können doch echt mal ein paar Tage ihr Geld selbst einteilen. Wer alles am ersten Tag ausgibt oder verliert, hat dann später Hunger oder Freunde, die helfen. Alles sehr, sehr gute Erfahrungen. Ach ja, Danke für die Organisation, die Fahrt wird bestimmt toll!“

Bei den anderen coolen Dingen, die ich mir gekauft hätte, wäre bei mir vermutlich auch Alkohol dabei gewesen und Eis, aber das wollte ich den besorgten Eltern nicht auch noch sagen. Der Montserratmann will noch, dass uns die Krankenreiseversicherung zugesendet wird. Ich bin beeindruckt, über wie viele Dinge, man sich sorgen kann. Versteht mich nicht falsch, es geht mir hier nicht darum, Sorgen anderer Eltern zu verurteilen, ich habe ja selber auch genug. Ich weiß, wie schwer es ist, sich zurückzulehnen und mit anzusehen, dass unsere jugendlichen Kinder manchmal keine guten Entscheidungen treffen. Trotzdem glaube ich, es ist verdammt wichtig, dass die Jugendlichen ihren Spielraum haben, um Dinge selber zu entscheiden und dann auch die Konsequenzen davon zu tragen. Eine gute Freundin hat mir mal den Satz gesagt: „Nur wer sich verwickelt kann sich auch entwickeln!“ In Sorgenmomenten ein guter Satz zum Entspannen.

Ich hoffe, in den 4 Tagen Klassenfahrt keinen Anruf von einer Lehrerin zu bekommen, dass Leo nach Hause geschickt wird auf unsere Kosten. Ansonsten wünsche ich ihm viel, viel Spaß und Abenteuer, die sich weitestgehend im legalen Rahmen abspielen.  

Schreibe eine Antwort