Im Alter des Truthahns
Der Truthahn ist sehr empfindlich bei Veränderungen in seinem Umfeld, ihn beeinflusst: das Klima, das Licht, der Lärm und er reagiert darauf mit unkontrollierten lauten Geräuschen. Sein Körper wirkt unproportioniert und sein Kopf ist rot. Die Spanier sagen, die Jugendlichen seien im „Alter des Truthahns“.
Mein Sohn ist definitiv in der Truthahnphase! Es kommt vor, dass er nach der Schule in die Wohnung tanzt und ich seine neuen komischen Tanzbewegungen bewundern soll. Manchmal kommt er auch zur Tür rein und sagt direkt: „Lass mich in Ruhe“ und geht in sein Zimmer. Ich weiß es inzwischen zu nehmen, das „lass mich in Ruhe“ bei Jugendlichen ist eine Art Begrüßung zwischen Sohn und Mutter, die bei uns keinerlei negative Bedeutung hat.
Genauso kommt es vor, dass das Tanzen, Singen und das „lass mich in Ruhe“ miteinander kombiniert sind, also sozusagen im selben Moment stattfinden.
„Ich hasse mein Leben!“ kann ebenfalls direkt in einer völlig unbeschwerten oder sogar lustigen Situation vorkommen, da gibt es keine Regeln.
Unproportioniert wirkt mein Sohn nicht, denn er hat nicht wie die meisten Jugendlichen erst jetzt angefangen unkontrolliert zu wachsen, er macht das bereits seitdem er auf der Welt ist, vermutlich auch schon vorher.
Er war immer groß und kräftig und jetzt ist er ebenfalls groß und kräftig mit Pickeln und schlechter Haltung. Allerdings hat er die Ausmaße seiner Extremitäten noch nicht wirklich im Gehirn abgespeichert, so dass er ständig überall anstößt.
Der Nachbar beschwert sich über lautes Comiclesen
Letzten Sommer waren 3 Jungs im selben Alter zum Übernachten bei uns. Ich hörte lautes Donnern gegen die Wände, unser Nachbar von unten hatte sich bereits beschwert und als ich sie gerade ermahnen wollte, abends doch bitte etwas leiser zu sein, hab ich es mit eigenen Augen gesehen: die liegen rum und lesen Comics!
Sie schaffen es, im Bett einen Comic zu lesen und jedes Mal beim Umblättern mit Ellbogen und vermutlich auch den Beinen gegen die Wand zu donnern, dass die ganze Wohnung bebt.
Unglaublich, fast schon faszinierend! Auch irgendwie gut zu sehen, dass es nicht nur daran liegt, dass ich als Mutter versagt habe, die anderen Jungs machen den gleichen Lärm.
Was kann man da noch machen als Eltern? Ihnen die Comics wegnehmen? Sie ans Bett fesseln? Gibt es Medikamente dafür? Homöopathie?
Ein guter Freund von mir sagt immer, ich solle Leo für zwei, drei Jahre in ein Schweizer Internat schicken, da wird er gut erzogen und kommt dann wieder, wenn die Truthahnphase vorbei ist. Eigentlich keine schlechte Idee, aber auf jeden Fall über meinen finanziellen Möglichkeiten.
Erst weglaufen und dann…
Aber nun zu den Mädchen: Obwohl Leo immer auch Freundinnen hatte, waren in den letzten Jahren seine engsten Freunde Jungen. Da Mädchen meist etwas schneller sind in ihrer Entwicklung gab es in der 5. und 6. Klasse Mädchen, die in der Pause die Jungs verfolgt haben, um sie zu küssen. Die Jungs fanden das total nervig und sind weggelaufen, oder haben sogar Hilfe bei den Lehrern gesucht. Wenn Leo gewusst hätte, dass er vielleicht nie wieder in so eine privilegierte Lage kommen würde, hätte er es damals vielleicht mehr zu schätzen gewusst, aber egal.
Mädchen waren vor ein paar Jahren nur dann interessant für meinen Sohn, wenn sie das mitgemacht haben, was er und seine Freunde spielen wollten, also war es oft einfacher, unter sich zu bleiben.
Das hat sich jetzt geändert! Viele Informationen aus erster Hand habe ich nicht zu diesem Thema, aber ich beobachte und setze Puzzelteilchen in detektivischer Kleinstarbeit zusammen.
Als Leo noch keine 15 war, wollte er von mir eine sehr private Information. Die habe ich dann nur unter der Bedingung rausgerückt, dass er mir auch etwas sehr Privates erzählt. Nachdem ich mein Geheimnis preisgegeben habe, hat er mir gesagt:
Ich hatte schon eine Freundin!
Oh, wow unglaublich! Mein Sohn hatte eine Freundin. Wer ist die Freundin, wann war das? Warst du verliebt und warum ist sie jetzt nicht mehr deine Freundin?
Der Fragenkatlog in meinem Kopf wurde immer größer, aber mein Sohn sagte, dass er nicht vorhabe noch mehr Fragen zu dem Thema zu beantworten.
Ich muss zugeben, dass ich stolz auf ihn war. Akzeptanz in der Mädchenwelt ist wie ein Ritterschlag für einen Jungen. Während Jungs sehr impulsiv in ihren Testosteronwelten unterwegs sind, traue ich den Mädchen irgendwie mehr Reflektion zu in ihren Entscheidungen. Eine dieser reflektierten Wesen hatte sich also für meinen Sohn entschieden. Hier muss ich anmerken, dass manche Eltern von jugendlichen Mädchen bei meiner Behauptung, diese seien durchweg reflektierte Wesen eventuell laut auflachen, ein Hoch auf völlig subjektive Verallgemeinerungen!
Ein Kommunikationsgenie in der Damenwelt
Zurück zu Leo, ich beobachte, dass er mit Mädchen telefoniert und Nachrichten schreibt spät abends in seinem Zimmer. Vor Kurzem hat er eine Stunde telefoniert mit einem Mädchen! Ich höre seine tiefe Stimme im Zimmer, Lachen, Zuhören, wieder sprechen. Ich wusste gar nicht, dass er so viele Worte hintereinander sagen kann!
Mädchen mögen ihn und er kann Freundschaften mit Mädchen haben, unglaublich!
Dieser große Kerl, der mir gegenüber möglichst wenig Worte benutzt und jede Frage meinerseits für ihn eine unmenschlich große Anstrengung bedeutet, ist ein Kommunikationsgenie in der Damenwelt!
Die Freude darüber mischt sich mit Wut! Es ist also gar keine Sprachblockade unter der mein Sohn leidet, er hat nur einfach keine Lust mit seiner Mutter zu reden!
Naja, ehrlich gesagt ist es mir so lieber, als wenn es umgekehrt wäre. Ein Sohn, der mir sein Herz ausschüttet und anfängt zu stottern, wenn er ein Mädchen sieht, wäre mir auch irgendwie unangenehm, also besser so.
Die Kindersamtweste für die Hochzeit
Als Leo klein war gab es vor allem ein Mädchen in seinem Leben: Amalia. Die beiden, die von der Babygruppe über den Kindergarten und die Schule alle wichtigen Schritte im Leben eines kleinen Kindes zusammen gegangen waren, waren ein Herz und eine Seele! Sie schüchtern und vorsichtig und unglaublich kreativ und er der große impulsive, der laut durch die Welt polterte. Beides Einzelkinder und somit gegenseitig ein bisschen Familienersatz, Wunschgeschwister sozusagen.
Da Amalias Eltern aus Uruguay kommen, also auch die Ursprungsfamilie weit weg war, haben wir viele Feste zusammen gefeiert, Ostereier im Park gesucht und vieles mehr.
Ich erinner mich noch heute an den Tag, an dem ich mit Leo und Amalia Weihnachtsplätzchen gebacken habe, die beiden waren 4 oder 5 Jahre alt. Ich habe nicht so oft gebacken mit Leo, weil die Küche danach wie ein Schlachtfeld aussah, der Teig war überall, vor allem im Kind und es gab nur sehr wenig gebackene Plätzchen. Mit Amalia backen war anders. Ich sehe noch heute vor mir, wie sie mit ihren kleinen Händchen das herzförmige Plätzchen vorsichtig auf das Backblech legt und nichts davon auf dem Boden landet. Das kannte ich gar nicht, ich glaube ich musste vor Rührung ein bisschen weinen.
Aber zurück zum Thema Mädchen und die Liebe. Leo und Amalia wollten heiraten und das schon in der Vorschule. Amalia hatte dafür schon auf einem Flohmarkt eine kleine rote Samtweste für Leo gekauft.
Das waren schöne Zeiten, die Liebe war einfach und klar. Jetzt wird es komplizierter, Amalia ist immer noch eine vertraute Freundin, aber ich befürchte die Weste aus roten Samt wird nicht mehr zum Einsatz kommen, Amalia interessiert sich inzwischen mehr für Mädchen und Leo passt auch nicht mehr rein.
Fritzchen
Eine sehr schön erzählte Geschichte,ich freue mich schon auf die Nächste!
Stefanie Pfeil
vielen Dank! Nächste Woche gehts weiter 😉
Leni
Hallo liebe Steffi,
gerne lese ich Deine Geschichten.
Manchmal finde ich mich darin auch wieder.
So als Mutter !!! Im Nachhinein lacht man dann.
Liebe Grüße Leni 🙂🙋♀️
Stefanie Pfeil
Hallo Leni,
das freut mich sehr! Im Nachhinein ist alles lustiger das stimmt!
Liebe Grüsse aus Barcelona