Rückblick 2019:
„Mama, ich freu mich schon darauf, mich das erste Mal zu betrinken!“ Das wird einem so entgegengeschleudert beim Abendessen. Sehr überlegt und reflektiert reagiere ich darauf: „Versuch dir damit Zeit zu lassen, du bist erst 14, viele Jugendliche machen den Fehler direkt mit hochprozentigem Alkohol einzusteigen, können die Wirkung nicht einschätzen und Zack: Alkoholvergiftung! Wenn du irgendwann vielleicht mit 16 soweit bist, trink erstmal ein Bierchen und mach langsam!“
Ich weiß nicht genau, wo in einem jugendlichen Hirn diese Informationen landen, aber ich glaube sie fallen direkt in eine Abteilung, die mit „interessiert mich nicht!“ etikettiert ist. Ich glaube, und das ist jetzt keine echte Wissenschaft, dass diese Abteilung im Alter zwischen 13 und 19 extrem viel Platz einnimmt im Gehirn dieser Jugendlichen. Da die Konzentration und Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung von Information extrem anstrengend ist für sie, wird das Wort der Mutter sofort in diese Abteilung weitergeleitet, außer es befinden sich Schlüsselwörter in dem Satz, die wiederum in die Abteilung, „interessiert mich!“ fallen.
Diese Schlüsselwörter sind bei meinem Sohn Leo:
Essen, Geld, Handyzeit, Netflix, „ok, du kannst dich verabreden“ und „ich bin heute Abend weg“
Alles andere fällt in die erste Kategorie.
Besuch aus Deutschland, ein kurioser Anruf
Ein paar Tage nach dieser Unterhaltung kommt meine Schwester zu Besuch aus Deutschland mit ihrem damals 10-jährigen Sohn. Habe ich erwähnt, dass wir seit sehr vielen Jahren im Süden Europas leben und mein Sohn auch dort geboren wurde?
Leo hat sich morgens verabschiedet, um den Tag mit einem Freund zu verbringen. Am frühen Abend dann wollen wir zusammen meine Schwester mit Kind abholen, die seit vielen Jahren mal wieder zu Besuch kommt.
Letzte Essensvorbereitung und eine Stunde vor der Ankunft meiner Schwester ruft die Mutter des Freundes von Leo an. Sie sei selber nicht zu Hause, aber ihr Sohn habe sie angerufen und gesagt, Leo ginge es schlecht, ich müsse ihn abholen.
Er hätte etwas gegessen, was ihm auf den Magen geschlagen sei und er könne nicht mehr alleine nach Hause kommen.
Komisch, denke ich, er hat sich doch nur Brote mit Käse von zu Hause mitgenommen.
Die meisten Frauen und Mütter verfügen über gut funktionierende Grundinstinkte und merken, wenn irgendetwas nicht stimmt.
Erst entsteht ein ungutes Gefühl im Bauch, sehr undefiniert aber schwer zu ignorieren. Manchmal wird dieses Gefühl bei mir zu einer Art innerer Alarmleuchte, die immer stärkere Signale von sich gibt, bis das ganze einem bunt leuchtenden Vergnügungspark ähnelt. Aber die Art von Vergnügungspark, die laut ist und Angst macht, Gruselkabinett und Achterbahn, alles in einem.
Die Mutter des Freundes, die auch nichts Genaues weiß, hat mich schließlich mit der Schwester des Freundes verbunden. Warum kann mein Sohn nicht telefonieren? Und wenn er nicht telefonieren kann, warum ruft mich nicht sein Freund an? Fragen, die immer unbeantwortet bleiben werden.
Alle Muttergefahreninstinkte alarmiert
Schließlich schaffe ich es, mit dem Freund zu reden: „Leo liegt auf dem Boden, er ist ganz nass (was heißt das?) und er muss sich übergeben, reden kann er auch nicht.“ Das ungute Gefühl im Bauch hat sich inzwischen in den Horrorvergnügungspark verwandelt.
„Leo hat etwas gegessen, was ihm nicht bekommen ist.“
Mit Fragemethoden, die nur Mütter und CIA Geheimdienstagenten beherrschen, schaffe ich es, die entscheidende Information von dem Freund zu bekommen: „Leo hat ein bisschen getrunken, ein Freund hat ihm Alkohol gegeben.“
Wer ist dieser Freund, frage ich mich, schließlich waren nur die beiden Jungs zusammen. Wieder eine Frage, die vermutlich für alle Zeiten offenbleiben wird.
Noch schnell abgeklärt, ob es meinem Sohn so schlecht geht, dass wir besser den Krankenwagen anrufen?
Nicht nötig sagt der Freund, Leo könne noch den Daumen heben, also lasse ich das Essen auf dem Herd stehen und fahre meinen Sohn abholen.
Die unangenehme Transportaktion
Die Wohnung des kolumbianischen Freundes ist voll mit Tanten und Kusinen, die mich schon an der Tür mit freundlicher Verachtung empfangen. Dann sehe ich ihn: Mein Sohn liegt auf der Terrasse vor einem Eimer, ist nass von oben bis unten und überall in der Wohnung sind Spuren seines Zustands.
Ich weiß nicht wie der kleine Freund es geschafft hat, meinen riesigen Sohn in seine Wohnung zu transportieren, aber jetzt bin ich dran.
Trockene Klamotten anziehen (er hatte sich mit dem Gartenschlauch abgespritzt) und auf nach Hause. Laufen ist nur eingeschränkt möglich, also stütze ich meinen Sohn und wir finden schnell ein Taxi. Zum Glück muss er sich auf der Taxifahrt erst in die vorsorglich eingesteckte Plastiktüte übergeben, als wir schon fast zu Hause sind. Nach Hochschwangeren, die viel zu spät ins Krankenhaus eilen, sind wir sicher an Platz 2 in der Rangliste: „Alptraum eines Taxifahrers!“
Mein Sohn spricht und lallt dabei, große Mengen von Vodka intus, wie ich inzwischen erfahren habe. Vodka Cola lecker süß! Nachdem ich dem Sohn einen Liter Wasser eingetrichtert habe, fällt er um 7 Uhr in einen tiefen Schlaf aus dem er erst am nächsten Mittag wieder aufwachen wird.
Ich fahre dann alleine zum Flughafen, um die Familie abzuholen. Der innere Vergnügungspark hat sich inzwischen in eine Stinkwut auf ihn verwandelt. Muss das unbedingt an dem Tag passieren, wo wir Familienbesuch bekommen?
Rückblickend ist es immer wichtig, auch die wenigen positiven Dinge zu erkennen in dieser Lebensphase. Bei dieser Episode gibt es zwei: 1. Ich und mein Sohn haben sein erstes Besäufnis jetzt hinter uns und 2. Unsere Wohnung blieb sauber dabei.
Kindergeburtstag mit Ahoij Brause und Vodka
Später ist mir eingefallen, dass mein Sohn bereits im jungen Alter von 4 Jahren Kontakt mit Vodka hatte. Auf dem Geburtstag seines damals besten Freundes waren wir Eltern zum Abholen gekommen. Die Mutter hatte für die Erwachsenen einen Begrüßungstrunk bereitgestellt. Sie erklärte uns, ein norddeutsches Trinkritual sei gerade, sich ein Tütchen Ahoij- Brause in den Mund zu schütten und dann einen Schluck Vodka hinterher zu trinken. Das klang irgendwie verstörend, aber viele Eltern ließen sich dazu überreden.
Manche spanischen Freunde mochten das Getränk, andere nicht und die Becher wurden mit oder ohne Vodkareste wieder auf dem Tisch abgestellt. Genau in diesem Moment kam mein Sohn, ein kleiner wilder durstiger Kerl, der Wasser trinken wollte. Blitzschnell und ohne zu fragen wie es so seine Art war, griff er sich irgendeinen Becher im Glauben es sei Wasser und trank ihn in einem Zug aus. Ich sehe noch heute sein Gesicht vor mir, erst Unglaube und Schock dann Ekel und Tränen in den Augen, aber der Vodka war bereits geschluckt. Das Geschrei war groß, hysterisches Kind, hysterische Eltern! Mit viel Wasser hinterher konnten wir Schlimmeres verhindern und mein Sohn beruhigte sich wieder.
Als er später wusste, dass er Alkohol getrunken hatte, ist er dann absichtlich Schlangenlinien gelaufen und hat viel dummes Zeug gemacht. Vielleicht konnte er auch nicht anders, noch eine dieser vielen unbeantworteten Fragen. Was ich definitiv nach dieser Erfahrung sagen kann ist, dass ein 4-Jähriger, der Vodka getrunken hat auf jeden Fall lustiger und niedlicher ist als ein 14-Jähriger, aber dieser Satz könnte falsch ausgelegt werden, also distanziere ich mich davon.
Inzwischen sind 2 Jahre vergangen und ich glaube, dass so eine Erfahrung durchaus hilfreich sein kann, danach vorsichtiger mit alkoholischen Getränken umzugehen. Während ich das sage, klopfe ich auf Holz.
Fritzchen
Ich habe mich gefreut, mal wieder was von Dir zu hören.
Dieses Erlebnis hat Leo ganz bestimmt für die nächsten Zeit vom Alkohol trinken abgehalten. Spannend und lustig beschrieben wie immer, Ich warte auf neue Geschichten.