Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Kolumne: Morgens siehst du aus wie ein toter Clown!

Und täglich grüßt das Murmeltier – Gefangen auf dem Flughafen Barcelonas

Ist die Wahrscheinlichkeit, komische Ereignisse zu erleben, etwas, was wir in unseren Genen verankert haben? Ihr erinnert euch vielleicht, dass ich einmal auf dem größten Friedhof Barcelonas eingesperrt war, ich finde allerdings mein Sohn hat diese Geschichte mit seiner noch übertrumpft.

Über den Genuss der kindfreien Zeit

Ich vermute, die meisten alleinerziehenden Menschen, die diesen Text lesen, kennen die Vorfreude, ein paar Tage ohne ihr Kind zu verbringen. Vermutlich gibt es auch Elternpaare, die durchaus froh sind, ihren jugendlichen Spross für kurze Zeit aus den Augen zu verlieren.

Versteht mich nicht falsch, es hat nichts mit fehlender Liebe und Bindung zu dem Kind zu tun. In meinem Fall ist es einfach nur die große Lust, ganz alleine in meiner Wohnung zu sein. Stille zu haben, wenn ich Stille möchte und mich ganz und gar meinem Rhythmus hinzugeben. Heute werde ich nicht kochen, sondern einfach ein paar Leckereien aus dem Kühlschrank holen und diese fröhlich futtern. Treffe ich Freund/innen oder nicht? Lese ich ein Buch? Ich kann tun und lassen, was ich will für genau sieben Tage. Das war der Plan nach Weihnachten. Mein Sohn Leo wollte wie jedes Jahr das Fest der „heiligen 3 Könige“ bei der Familie seines Vaters feiern. Hier in Spanien feiern viele Familien diesen Tag und es gibt für die Kinder meist mehr Geschenke als an den Weihnachtstagen.

Endlich, Leo fliegt zu seinem Vater!

Diesmal hatten wir es so geplant, dass er nach unserem Deutschlandaufenthalt weiter nach Bilbao fliegt, wo die Familie meines Exmannes lebt. Gestern war der große Tag. Gerade gelandet in Barcelona haben wir noch etwas zusammen gegessen und mein Sohn ist wieder durch die Handgepäckkontrolle verschwunden.

Eine Woche ganz für mich alleine! Mit Bus und Zug fahre ich zu mir nach Hause. Ein voller Briefkasten und eine verwelkte Pflanze empfangen mich, ansonsten ist alles beim Alten. Ich packe den Koffer aus, sortiere meine Post und setze mich gemütlich auf mein Sofa, um meine momentane Lieblingsserie zu schauen. Ein autistischer Chirurg, der mal wieder vor irgendeinem Problem des Lebens steht. Vermutlich habe ich ihn deshalb so gern, weil irgendwie alles in meinem Leben einfach scheint, wenn ich es mit seinem vergleiche. Andererseits hat er auch sehr klare Werte in seinem Leben und auch das ist irgendwie inspirierend. Die Zeit vergeht und eigentlich müsste mein Sohn längst gelandet sein, aber er gibt kein Lebenszeichen von sich.

Turbulenzen über Bilbao, Rückkehr nach Barcelona

Es ist fast Mitternacht, als er mir schreibt.

„Ich bin wieder in Barcelona!“ Ich lese nochmal, bevor die Nachricht wirklich bei mir ankommt.

„Waaaaaas? Was ist denn passiert?

„Irgendwie war zu viel Wind in Bilbao und wir konnten nicht landen, dann sind wir zurückgeflogen.“

Im Nachhinein habe ich erfahren, dass ein netter Mitflieger ihm das so erklärt hatte, denn er hatte mit Kofphörern eine Serie angeschaut und weder von Turbulenzen noch von den Durchsagen irgendetwas mitbekommen. Auch irgendwie schön die Vorstellung: rund um einen Jugendlichen kann die Welt untergehen und er oder sie merkt es gar nicht! Wie verrückt muss es sein für Leo, aus dem Flieger auszusteigen mit dem Gefühl in Bilbao zu sein, und dann zu merken: das ist Barcelona!

Ich bin plötzlich hellwach: „Und was passiert jetzt? Kommst du nach Hause? Soll ich kommen?“

„Nee,“ sagt Leo „Ich glaube die bringen uns in ein Hotel oder so und dann werden wir morgen ganz früh wieder abgeholt, glaub ich.“

Oh je! Informationen, die Jugendliche bekommen sind manchmal so verändert wie bei dem Spiel „Stille Post“. Irgendetwas hören sie, anderes nicht und irgendwer hat irgendsowas gesagt… Um 2.00 nachts werden sie endlich in das Hotel gebracht, um 5.00 wieder abgeholt. Mein Sohn stellt sich den Wecker um 4.30. Er sagt, das Zimmer sei voll Scheiße und es gebe kein Licht. Was ist das, eine Höhle? Ein 16-jähriger, der im Zimmer nachts um 2.00 alleine kein Licht hat, kommt nicht auf die Idee, sich bei der Rezeption zu beschweren, er denkt einfach nur:

„Scheiße kein Licht! Scheiße auch nichts zu essen!“

Den Wecker, der um 4.30 klingelt macht er wieder aus und denkt, er hätte noch einen Wecker gestellt, hat er aber nicht. Um 4.58 wacht er zufällig wieder auf, schmeißt seine Sachen zusammen und rennt zum Bus. Er schafft es sogar, den Bus zu erreichen und landet wieder am Flughafen.

Der zweite Versuch, nach Bilbao zu fliegen scheitert

Um 7.00 fliegt er zum 2. Mal hintereinander von Barcelona nach Bilbao. Ich bin aufgeregt zu Hause, an Schlaf nicht zu denken.

8.58, eine Nachricht von Leo: „Bin wieder in Barcelona. Wetter ist nicht gut.“

Wir telefonieren und Leo ist tatsächlich wieder von Barcelona bis über den Flughafen von Bilbao geflogen. Dort gab es so starke Turbulenzen, dass der Pilot auch diesmal wieder zurück zum Startflughafen geflogen ist. Wieder Koffer geholt und wieder bei der Fluggesellschaft gefragt, wie es weitergeht. Ich und sein Vater raten ihm zu fragen, ob er auf den Zug umsteigen könnte. Wir sehen: alle in Frage kommenden Züge sind ausgebucht. Am Schalter bekommt er sein 3.Flugticket nach Bilbao für den Nachmittag, zusammen mit einem Frühstücksgutschein.

Er bekommt auch ein Beschwerdezettel, den er später ausfüllt. Zu gerne würde ich schauen, was er da geschrieben hat, aber er möchte das alleine erledigen. Vielleicht steht da nur: „Mein Hotelzimmer war scheiße, es gab kein Licht und nichts zu essen!“ Wieder checkt er ein und wartet Stunden im Flughafengebäude. Mittags sagt er mir, dass er jetzt 11.000 Schritte gegangen sei und er schickt mir ein Foto seines Mittagsmenüs von der Fluggesellschaft gesponsort:

Eine riesige Cola, Pommes, Kroketten und ein großes belegtes Baguette. Ein Fest der Kohlenhydrate, mein Sohn ist glücklich! Auf dem Flughafen gibt es prima Essen, Wifi und Bänke zum Hinsetzen, was will er mehr?

Barcelona-Bilbao die dritte…

Inzwischen ist er wieder auf dem Weg nach Bilbao. Vorhin hat er mir gesagt, wenn es diesmal wieder nicht klappt, bliebe er in Barcelona. Panik steigt in mir auf und ich denke, das geht gar nicht. Meine soooo lang ersehnten 7 Tage, die jetzt sowieso nur noch 6 Tage wären. Was ich immer noch nicht ganz verstehe: Wenn ein Flieger wegen Stürmen abends nicht landen kann und morgens stürmt es noch genauso… Warum fliegt dann dieselbe Fluggesellschaft nochmal in den Sturm? Stürmt es jetzt weniger oder wird mich gleich mein Sohn wieder anschreiben mit den Worten: „Bin wieder in Barcelona, schlechtes Wetter.“

Wenn er nicht nach Bilbao kommt, vielleicht könnte er ja einfach ein paar Tage mehr auf dem Flughafen bleiben. Bei diesen leckeren Menüs könnte ich ihn vielleicht überzeugen…

Ich denke an den Film: „Und täglich grüßt das Murmeltier“, in dem der Hauptdarsteller Bill Murray in einer Zeitschleife festhängt und immer wieder den gleichen Tag erlebt. Egal was er verändert, er wacht immer wieder auf und für alle anderen beginnt der gleiche Tag, den er bereits viele Male erlebt hat. Vielleicht sind mein Sohn und ich in eine solche Zeitschleife geraten? Eine Stunde ist vergangen und so langsam wird mein Sohn wieder landen. Wo wird es diesmal sein? Mein Handy liegt neben mir und ich gucke vorausschauend, ob es vielleicht Busse nach Bilbao gibt.

Eine Nachricht von Leo: „Bin gelandet.“

„Wo denn diesmal?“ Frage ich.

Leo: „Es gibt kein Meer also denke ich, es ist Bilbao, vielleicht bin ich aber auch in Thailand!“

Thailand würde zeitlich nicht hinhauen, also vermute ich, mein Sohn ist endlich an seinem Ziel angekommen. Ich atme auf. Vor Erleichterung, dass ihm nichts passiert ist trotz vieler Turbulenzen. Vor Freude, jetzt ein paar Tage für mich zu haben.

Freunde treffen? Kühlschrank? Sofa? Buch? Nichtstun und dabei aus dem Fenster schauen?

Die Welt steht mir offen!

  1. Fritzchen

    das möchte ich nicht erleben, was Leo widerfahren ist. Deine Ängste auch nicht.
    Es war sehr spannend zu lesen. Für das kommende Jahr 2022 wünsche ich Dir nur positive Geschehnisse, die Du berichten kannst. tschüss….

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