„Mama, morgen kommt ein Paket für mich, nimm das bitte an, falls ich nicht da bin!“
„Ok, was kommt denn?“
„Ein paar Sneakers, die schenkt mir Papa zum Geburtstag.“
„Hat mein Sohn nicht erst vor 4 Monaten neue bekommen?“, frage ich mich und gehe weiter meinen täglichen Arbeiten nach. Am späten Vormittag klingelt es: Ein junger Mann bringt ein riesiges Paket und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich darin einen Teppich oder eine Leiche vermuten.
Das perfekte Outfit
Nein, es sind einfach nur riesengroße Turnschuhe für meinen Sohn. So groß, dass gängige Sneakersläden diese Größe nicht mehr haben. Weder hier in Barcelona, noch in Deutschland. Sie sind schneeweiß (total unpraktisch), riesengroß und mein Sohn probiert bereits Outfits für den nächsten Schultag aus. Kurze Basketballhose einer bekannten Sportmarke, dazu passende Sportsocken. Eigentlich ist es draußen noch viel zu kalt für kurze Hosen, aber was hat das Wetter mit dem Outfit zu tun? Oben trägt er ein farblich abgestimmtes T-Shirt einer anderen bekannten Sportmarke, dann noch einen Durag auf dem Kopf, darüber ein Käppi ebenfalls mit dem Label vorne darauf. Ein Durag ist eine Art Kopftuch afrikanischer Herkunft, was bei Rappern gerade sehr in Mode ist.
Er steht vor dem Spiegel und ich soll ihm bestätigen, was für einen Flow er hat.
„Ja, total!“, sage ich. Die einzig mögliche Antwort, wenn ich mich nicht allzu lange mit seinem „Flow“ beschäftigen will. Die Spülmaschine wartet noch ausgeräumt zu werden und ich will noch ein paar Zeichnungen fertigstellen.
Ich bin immer wieder überrascht, wie wichtig für meinen Sohn alle diese Markenklamotten sind. Ich kaufe diese Klamotten nur selten für ihn, dafür würde mein Geld gar nicht reichen. Er wünscht es sich zu Geburtstagen und gibt sein eigenes Geld dafür aus. Wie anders war das in meiner Jugend. In meinem Freundeskreis haben wir uns als Jugendliche nie Markenklamotten gekauft und wenn ich doch einmal einen Pulli erwischt habe mit einem Markensymbol darauf, habe ich es mit einer Schere rausgeschnitten. Lieber ein Loch im Pulli als einen Markennamen auf der Brust!
Luxusboutiquentourismus in Berlin mit 3 Jugendlichen
Als Leo 12 war, haben wir wie fast jedes Jahr Freunde in Berlin besucht. Die haben auch zwei Söhne, die etwas älter sind als Leo. An einem Vormittag war ich mit den drei Jungs alleine und habe vorgeschlagen, dass sie sich aussuchen dürfen, was wir heute in Berlin unternehmen. Einstimmig wollten sie an den Kurfürstendamm fahren und dort Schaufenster von Luxusläden anschauen! Außerdem wollten sie ins Kadewe (Kaufhaus des Westens) um dort in die Edelboutiquen zu gehen und nach Preisen zu fragen. Wir sind tatsächlich in mehrere Läden und die Jungs haben gefragt, was dieser Gürtel oder jenes steinchenbesetzte Käppi kostet. Wenn die Verkäuferin oder der Verkäufer dann „1.598 Euro kostet der Gürtel.“ gesagt hat, waren die Jungs schwer beeindruckt und fanden es toll! Ich habe ein bisschen gelitten dabei mit drei Jugendlichen, mit ungekämmten Haaren und ausgeleierten T-Shirts in diese Läden zu gehen.
Ein Blick auf mich und meinen praktischen Stadtrucksack mit bequemen Sandalen reichte den Verkäufer/Innen ebenfalls, um sofort zu sehen, dass wir uns nicht einmal die Schnalle von dem Gürtel leisten könnten. Ich habe absurde Dinge gesehen in diesen Geschäften. Eine Art Käppi zum Beispiel aus dem Stoff, den ich nur von Waschlappen kenne. Die Farbe war ebenfalls ausgeblichen, wie ein sehr lange benutzter Waschlappen. Vorne drauf stand in silbernen Lettern groß der Markenname. 845 Euro kostete dieses Kunstwerk. Ich hätte es nicht einmal aufgesetzt, wenn ich Geld dafür bekommen hätte, die Jungs hingegen waren begeistert und fanden, der Preis sei doch noch ganz ok. Zum Schluss sind wir noch in die Essen- und Spezialitätenabteilung des Kadewes gegangen und haben uns jeder eine Limonade und Schokolade gekauft. Bei letzterem waren wir wieder in einem Boot, aber Luxusboutiquen? Was ist los mit den Jungs?
Markenkult und Zugehörigkeit zu einer Gruppe
Da fällt mir der Sohn von einem Lehrerehepaar in meinem Heimatort ein. Die Eltern waren die totalen Hippies, alt 68er, mit langem wallenden Haar (beide) und sehr weiten bequemen Klamotten. Der Sohn ging bereits als Kind gerne mit Anzug und Schlips in die Schule und ich glaube das war seine Abgrenzung von seinen Eltern.
Bei Leo ist der Sportmarkenkult vielleicht auch die Abgrenzung zu mir und meiner Welt. Vermutlich ist es aber noch viel mehr, was gar nichts mit mir zu tun hat. Es ist ein Zeichen von Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Seine Freunde laufen alle sehr ähnlich rum, die Sportmarkenklamotten sind eine Art Statussymbol. Ich glaube, dass Leo so langsam auch andere Elemente in seinen Stil übernimmt. Eine zerrissene Jeans zum Beispiel, bei der ich immer finde, sie hängt etwas zu tief unter dem Po. Aber egal, sie ist auf jeden Fall keine Jogginghose und nach 4 Jahren durchgehender Jogginghosen eine sehr angenehme Abwechslung.
Die Kopftücher und Ohrringe, der rasierte Streifen in den Augenbrauen sind auf jeden Fall modern, aber auch ein Schritt in die Individualität. Tattoos würde Leo auch sehr gerne haben, aber bisher ist da unsere Abmachung „Nicht vor 18!“ Ich habe bei dem Thema immer einen ehemaligen Studienkollegen vor Augen, ein sehr sympathischer, ruhiger Mann. Im Sommer trug er immer lange Hemden und war völlig verschwitzt. Wenn er dann doch einmal die Ärmel hochkrempelte kam eine Meeresjungfrau mit riesigem Busen zum Vorschein, die so gar nicht zu diesem Mann passte. Das Seemannstattoo war in einer Nacht im Alter von 15 entstanden. Ich vermute, es war auch sehr viel Alkohol im Spiel.
Die Grautöne werden wiederkommen
Es gibt vieles, was gegen Markenklamotten spricht und vermutlich machen manche Jugendliche mit bei dem Trend, um ein geringes Selbstbewusstsein zu kompensieren. Wenn ich an meine Zeit zurückdenke, war aber auch das Hippie sein ein Trend, der sich ebenfalls in den Klamotten ausdrückte. Die waren billiger, sehr groß und manchmal auch schmutzig. Es war auch damals hip, einen Hut oder einen alten Trenchcoat des eigenen Großvaters anzuziehen.
Im Endeffekt ging es auch nur darum, dazuzugehören und gemeinsam für etwas zu stehen und gegen anderes zu sein. Den Satz: “So gehst du mir nicht auf die Straße!” habe ich damals manchmal von meiner Mutter gehört. Sie hatte mit diesem Satz allerdings nicht viel Erfolg und spätestens, wenn wir um die nächste Ecke waren, haben wir den alten fleckigen Mantel wieder angezogen.
Ich habe ein Fotoalbum von dieser Zeit und wenn ich mir das jetzt anschaue, denke ich: „Oh je, wie sah ich denn aus?“ Langes Wuschelhaar und weite Kleider, die wie Müllsäcke an mir hingen, ließen mich doppelt so breit aussehen. Ein guter Freund, der in dieser Zeit mit 18 einen sehr, sehr langen Bart trug, dachte, er sehe Fotos seines eigenen Großvaters.
Es ist wie es ist, die Zugehörigkeiten im Jugendlichenalter sind wichtig, egal ob mit Markenklamotten, Hippiekleidern oder Mangaoutfit. Es gibt nur richtig und falsch in dieser Phase. Die eigene Gruppe und deren Identität ist cool und alles andere ist irgendwie abwegig und undenkbar. Irgendwann ploppen so nach und nach wieder die Grautöne auf. Heute kann auch ich ein Marken-T-Shirt tragen, ohne die Marke herauszuschneiden. Es ist alles einfach nur eine Frage der Zeit.
Vera
Gott sei Dank, dass die Zeiten sich ändern werden. Man braucht nur viel Geduld.
Was wird Dein Sohn in 10 Jahren zu seinem heutigen Outfit sagen?
Stefanie Pfeil
…da bin ich auch sehr gespannt!