So sicher und kompetent sich Jugendliche in ihrer digitalen Welt bewegen, so skurril scheint Ihnen die Welt der analogen Kommunikation. Letztens sagt mein Sohn zu mir:
„Warum kannst du nicht einfach asozial sein?“ Mit asozial meint er vermutlich, dass ich so vor mich hin lebe, ihn in Ruhe lasse und aufhöre, so viele unglaublich überflüssige Fragen zu stellen und immer alles besprechen zu wollen. Der Kontext war, dass ich mit ihm ausführlich über etwas sprechen wollte, was für ihn nach einem Satz ausreichend besprochen war. Vielleicht hat er mich sogar ausnahmsweise nach meiner Meinung zu einem Thema gefragt, aber er will dann eine klare Antwort in einem kompakten Satz und nicht ein reflektiertes Gespräch mit viel Nachfragen.
Die Frage, warum ich nicht einfach asozial sein könne, kam wirklich von Herzen aus der tiefen Verzweiflung eines Jugendlichen, der nicht so ausführlich mit seiner Mutter kommunizieren will.
Telefonieren mit der Familie, eine unglaubliche Anstrengung!
Telefonieren mit der Familie ist für meinen Sohn so anstrengend wie für andere Menschen Untertage in einer Kohlegrube zu schuften. Opa und Oma rufen manchmal an und wollen den Enkel sprechen. Sie rufen nicht oft an und sind auch mit ihren Wünschen in dieser Hinsicht sehr, sehr bescheiden.
Da wir in einem anderen Land leben und uns meist nur zwei Mal im Jahr sehen, ist es über lange Zeit die einzig mögliche Art zu kommunizieren. Wenn sie anrufen und ich das Telefon in sein Zimmer bringe, passt es immer gerade nicht und er schaut mich an, als würde ich ihn zwingen gegen seinen Willen einen Marathon zu laufen. Er schafft dann ungefähr 5 Minuten und ich höre: „Hallo Oma, mhhhh, ja, ok, nee, mhhhh, ja Oma, ok, Schule ist gut, mach ich, du auch, tschüss.“
Dieses „Gespräch“ findet ca. alle 3-4 Wochen statt und das akzeptiert er auch nur, weil er seine Oma und seinen Opa total gern hat.
Bei den ebenfalls seltenen Gesprächen mit seinem Vater und den kleinen Schwestern ist es lauter, aber das liegt eher an den kleinen Mädchen, die per Videoanruf nur Quatsch machen und wollen, dass Leo zuschaut, er muss also nicht unbedingt viel reden. Sie zu sehen findet er süß, aber nach wenigen Minuten ist auch das eigentlich genug. Da ich mit Leo wohne, komme ich zum Glück nicht so oft in den Genuss, mit ihm zu telefonieren.
Telefonieren mit der eigenen Mutter, muss das sein?
Jedes Jahr, wenn er im Sommer für 2,3 Wochen zu seinem Vater fährt, habe auch ich diese unmotivierten, aus seiner Sicht lästigen Telefongespräche mit meinem Sohn. Mit mir, die ich auch sonst immer präsent bin, hat Leo gar keine Lust zu telefonieren, also auf jeden Fall noch weniger als mit allen anderen aus der Familie.
Bereits als 9-Jähriger bat er mich, nicht jeden Tag anzurufen, wenn er in den Ferien bei seinem Vater war, sondern jeden 2. Tag, was für mich auch ok war. Jetzt ist er 16 und die neue von ihm aufgestellte Regel ist, ein Kontakt alle 5 Tage. Ich finde es prima, dass ich so richtig abschalten kann in der Zeit, in der Leo nicht hier zu Hause ist.
Die Art wie Leo mit mir redet bzw. auf meine Fragen antwortet, lässt mich allerdings meist vermuten, dass er nebenbei noch ein Videospiel spielt, einen Film schaut und darüber nachdenkt, was er als Nächstes essen könnte. Verzögert und leicht genervt antwortet er auf mein Nachfragen, wie es ihm ginge, was sie so unternehmen und sobald ich aufhöre zu fragen ist unser Telefonat beendet. Ach ja, ich stelle am Ende meist noch die typische Mutterfrage:
„Willst du mir noch etwas erzählen?“ Auf die er immer: „Nee“ antwortet und dann verabschieden wir uns.
Warum stelle ich immer diese Frage? Hat je ein Jugendlicher auf diese Frage, „Ja Mama, ich wollte dir noch erzählen, was mir gestern passiert ist…“ geantwortet? Oder: „Ja Mama, ich wollte dir noch erzählen, dass ich eine Freundin habe und total glücklich darüber bin!“
Ich vermute: nein. Trotzdem werde ich die Hoffnung nicht aufgeben, ich werde weiter fragen und eines Tages wird es eine positive Antwort geben und dann weiß ich: Es ist vollbracht, das Kind ist erwachsen!
Vorsicht Sprachnachricht!
Außer den Telefonaten gibt es noch die Text- und Audionachrichten, ein Minenfeld für Eltern eines Jugendlichen! Meine Generation hinterlässt gerne Audionachrichten, die von der Länge auch als Podcast durchgehen würden. Meinem Sohn eine Nachricht zu hinterlassen, die länger als 20 Sekunden dauert, geht gar nicht. Ich vermute, er hört sie auch nicht bis zum Ende ab. Kurze präzise Sätze mit sehr klaren Informationen sind gefragt, sonst kriege ich Ärger.
In den letzten Sommerferien bei seinem Vater habe ich es gewagt, ihm nach einem Nachrichtenaustausch: „Gute Nacht mein Großer!“ zu texten. Das war, wie sich später herausstellte ein Detonator für eine Explosion im Kopf meines Sohnes.
Ich bekam direkt eine Sprachnachricht von ihm:
„KANNST DU BITTE MAL AUFHÖREN DAMIT, IMMER SCHON UM 22.40 GUTE NACHT ZU SAGEN, GLAUBST DU ICH GEH DA SCHON SCHLAFEN? UND HÖR AUF, MICH SO ZU NENNEN, ICH BIN EIN TEENAGER UND NICHT MEHR IN DEINER MAMA-SOHN BLASE!“
Ich muss zugeben, die „Mama Sohn Blase“ hat mich irgendwie getroffen, was vermutlich auch das Ziel war. Danach habe ich ihm gesagt, dass ich mich einfach nur freundlich von ihm verabschieden möchte und ob er mir sagen könne, mit welchen konkreten Worten das möglich sei. Irgendwie habe ich darauf keine sehr konkrete Antwort bekommen und wir haben es dabei belassen.
Ich glaube, das freundlichste was bleibt, ohne dabei als Mutter zu weit zu gehen ist ein einfaches: „Tschüss!“, oder „Mach´s gut!“ wobei man aus dem Zweiten schon fast wieder einen unangenehmen Auftrag heraushören könnte.
Gut, dass ich ein reiches Umfeld an Freundschaften und Familienverbindungen habe, sonst würde ich vermutlich an Emotions- und Kommunikationsarmut verhungern!
Eine interessante Beobachtung für mich ist es zu sehen, wenn Leo ein eigenes Interesse an einem Thema hat, z.B. an einem Gerät, was er sich kaufen will, dann kann er mir lange Sprachnachrichten schicken. Dabei lässt er mich über seine Gedanken zu diesem Thema teilhaben, vor allem dann, wenn er noch zusätzliches Geld für die Anschaffung des Gerätes braucht. Da gelten dann seine eigenen Regeln, der kurzen Sprachnachrichten nicht mehr. Ich glaube, ich habe auch bereits erwähnt, dass er mit seinen Freunden und Freundinnen ebenfalls sehr lange telefonieren kann, sogar mit ganzen Sätzen! Aber das ist ein anderes Thema.
Kleine Kinder, kleine Sorgen…
In dieser Nacht träume ich, Leo sei ein kleiner Junge, sehr klein aber doch schon total selbständig, denn trotz seiner 5,6 Jahre, teilt er mir mit, jetzt alleine zum Kung-Fu Training mit dem Bus zu fahren. Ich lasse ihn fahren, denn es ist mir völlig klar, dieses Kind weiß, was es will und es hat keinen Sinn, sich dagegen aufzulehnen.
Als er zurückkommt weiß ich, dass er gar nicht beim Kung-Fu Training war (Traumlogik, ich weiß es einfach). Als ich ihn darauf anspreche, schaut er mich nur lange an. Er gibt nicht zu, was genau er in dieser Zeit gemacht hat, lügt aber auch nicht, sondern schaut mich einfach nur direkt und lange an, so als wollte er sagen: „Jetzt bin ich noch klein und du hast kleine Sorgen mit mir, warte erst mal ab, wenn ich ein Teenager werde!“
Vielleicht hat mein 5-jähriger Sohn aus meinem Traum auch etwas anderes gedacht, während er mich so durchdringend und weise anschaut, so etwas wie:
„Warum kannst du nicht einfach asozial sein?“
Das Elterndiplom
Kommunizieren mit Jugendlichen ist eine echte Herausforderung, am Telefon und auch im direkten Kontakt. Ich denke, wenn ich es schaffe, die Jugendjahre meines Sohnes gut zu überstehen, dann kann man mich überall im Spionagebereich einsetzen, denn ich habe sehr ausgefeilte Fragetechniken im Laufe der Jahre gelernt. Wenn man es schafft, in einem Gespräch mit einem Teenager, minimale Infos über dessen Leben zu bekommen, dann kann man das sicher auch bei einem Schwerverbrecher.
Hat je irgendjemand darüber nachgedacht, was für eine unglaubliche Ausbildung Eltern in dieser Zeit durchlaufen? Ich wäre dafür, Diplome zu verteilen für Eltern, die die komplette Jugend ihres Kindes überstehen. Je schlimmer die Jugend des Kindes, umso höher die Auszeichnung! Ich sehe ganz im Stil eines Highschoolabschlusses in amerikanischen Filmen, Eltern in Kutten und Kappen mit komischen Bommeln dran, die ihr Diplom freudig entgegennehmen. Mit diesem Diplom kannst du jeden beliebigen Beruf, der mit Kommunikation zu tun hat, ausüben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es gut ist, immer wieder zu versuchen ins Gespräch zu kommen, auch wenn das öfter mal auf Ablehnung stößt. Ich glaube, das ist wie lauter kleine Samen auf der Erde verstreuen, und selbst wenn sehr sehr viele davon einfach so vertrocknen oder vom Wind verweht werden, gibt es den einen oder anderen, aus dem ein kleines Pflänzchen wächst, manchmal erst viele Jahre später.
Garantien gibt es keine, aber Hoffnung auf jeden Fall!
Jennifer
Vielen Dank Steffi, für deine Geschichten. Ich muß oft lachen, auch erste Themen kannst du mit viel Leichtigkeit erzählen. Das ist toll. Und mir fallen oft ähnlich Situationen mit meinen Jungs ein.
Stefanie Pfeil
Das freut mich sehr Jennifer, liebe Grüße nach Berlin!