Wunderbar, ich werde Zeit für mich haben, keine festen Essenszeiten, kein dauerndes Kochen und keine Kontrollfunktion über: wie lange die Playstation bespielt wird, das Erledigen der Hausaufgaben, die Vermeidung einer völligen Verwahrlosung im Jugendzimmer, den Kontakt mit frischer Luft und einer ausreichenden Körperhygiene.
Das sind dann also die ersten Weihnachten, an denen wir nicht wie gewohnt nach Deutschland fahren können, dank Corona. Wir bleiben hier und ich werde Weihnachten mit meinem Sohn feiern, eine Singlemama im fortgeschrittenen Alter mit ihrem jugendlichen Sohn, nur wir beide. Am 25. Dezember wird Leo zu seinem Vater reisen und gute 2 Wochen mit ihm und seiner Frau und deren 3 kleinen Mädchen verbringen.
Weihnachten im Schlafanzug? Videokonferenzmode: oben schick unten bequem
Der 24. verläuft ruhig mit meinem Sohn und selbst für unsere kleine Meinungs-verschiedenheit, ob man den Tag unter diesen komischen Umständen dann nicht auch gleich im Schlafanzug verbringen könnte oder nicht, finden wir am Ende einen Kompromiss. Da wir nachmittags mit der Familie in Deutschland zoomen wollen, entscheiden wir uns für: unten Schlafanzug, oben was Schickes. Wenn das so weitergeht mit Lockdown rauf und runter, wird bald eine Videokonferenzmode entstehen, mit sehr schönen Oberteilen kombiniert mit alten bequemen Jogginghosen, oder wahlweise in der warmen Jahreszeit untenherum in Unterwäsche.
Aufgepasst aber, wenn dann doch einmal eine Situation entsteht, in der man aufstehen muss. Seitlich mit einem Stuhl aus dem Bild rollen empfehle ich, aber das nur am Rande. Ich koche für 10 Personen, denn das wäre die Anzahl der lieben Eltern, Schwestern, Nichten und Neffen gewesen, mit denen wir sonst immer feiern.
Die Keramikwerkstatt, das Chillout für die Frau im mittleren Alter
Es gibt einige Geschenke für meinen Sohn und für mich habe ich vorsichtshalber selber etwas eingepackt, nämlich Material, um in der Keramikwerkstatt von Freunden zu werkeln. Eine Sache, die mir sehr viel Spaß macht, für die mir aber meist die Zeit fehlt. Ist es ein Klischee, dass eine Frau in meinem Alter mit dem Keramikmodellieren anfängt? Ja, auf jeden Fall!
Als Illustratorin habe ich allerdings die künstlerische Freiheit, in jeder Richtung kreativ zu sein und zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich bereits mit 20 Jahren gerne mit Keramik gearbeitet habe, also kann es nicht nur mit der Krise einer Frau im mittleren Alter begründet sein. Und nein: ich modelliere nicht nur Aschenbecher und Topfpflanzenübertöpfe! Ein Freund zeigt mir gerade die Technik, wie man Zeichnungen auf eine Keramikform überträgt, aber ich vermute, so langsam interessiert diese detaillierte Information die Leser/innen nicht mehr, also zurück zu meiner Erzählung.
Alleine am 1. Weihnachtstag
Nach diesem Heiligabend ohne Großfamilie und einem ersten Weihnachtstag auf dem Flughafen komme ich dann ohne meinen Sohn nach Hause zurück. Ich glaube, Leo und ich haben selten so viel Zeit zusammen in der Wohnung verbracht wie in diesem Lockdownjahr und trotz meiner Deutschland Familienweihnachtssehnsucht bin ich auch froh, endlich mal alleine zu sein.
Ich stelle mir die vielen vielen Dinge vor, die ich machen werde alleine zu Hause. Tatsächlich genieße ich meine Freiheit, mir den Tag so zu planen, wie es mir spontan gefällt. An einigen Tagen arbeite und lerne ich in der Keramikwerkstatt meiner Freunde neue Techniken und das stundenlange schmirgeln und polieren fertiger Teile kommt mir sehr meditativ vor. Nach ein paar Tagen merke ich, dass ich einen ähnlichen Tagesrhytmus habe, wie sonst auch, ich stehe früh auf, abends ausgehen ist im Moment sowieso wegen Corona gestrichen, das heißt ich habe ähnliche Zeiten wie im Alltag mit meinem Sohn!
Bin ich wie das Schaf Selma?
Mir kommt das Buch von der Illustratorin Jutta Bauer in den Sinn: Selma. Sinngemäß handelt es von der Schafsdame Selma, die ihren Tagesablauf beschreibt und auf die Frage, was sie machen würde, wenn sie mehr Zeit hätte, oder in der Lotterie gewinnen würde, beschreibt sie genau dasselbe, was sie auch sonst jeden Tag macht. Bin ich wie das Schaf Selma?
Ist es vielleicht auch eine Form von stillem Glück, gar nicht so viel Spezielles zu brauchen, um in den sohnfreien Tagen zufrieden zu sein?
Freizeitstress Alleinerziehender
Als alleinerziehende Mutter steht selbst die Freizeit oft unter einem gewissen Erfolgsdruck. Die Momente, die ich mit dem damals kleinen Leo alleine hatte, waren nicht viele und somit mussten diese maximal ausgenutzt werden. Waren es 4 Stunden abends, dann konnte ich darin mindestens eine Freundin oder einen Freund, einen Kinobesuch und ein gemeinsames Essen unterbringen. Ach ja, wenn möglich dazu noch ein anregendes Gespräch, denn wann hatte ich denn mal die Möglichkeit sonst, in Ruhe mit einem erwachsenen Menschen zu reden?
Wenn das Kind eine Nacht woanders blieb, dann war für mich Zeit für: Freunde (immer), Sport (manchmal), gemeinsam Essen (immer), Tanzengehen (selten), tiefgehende Gespräche (manchmal) und je nachdem, wann das Kind wiederkam, noch ein Frühstück mit einer zweiten Freundin oder Freund (oft). Wenn ich im Sommer bei Leos Großeltern bin und ihn da mehrere Tage unterbringen kann, fahre ich direkt mit einer guten Freundin ein paar Tage mit ihrem alten VW-Bus weg. Dann fühle ich mich kurzzeitig wie im „Thelma und Louise“ Film, nur mit gutem Ende.
Als Leo klein war, geriet ich sofort unter Stress, wenn das Kind ein Angebot, woanders zu übernachten, spontan bekam und ich somit keine Zeit hatte, mir mein Programm zu organisieren! Was für eine verschwendete Zeit!
Wenn mein Sohn im Sommer zu seinem Vater fährt, gibt es kaum einen Abend, an dem ich nicht ausgehe, Freunde treffe und all das mache, was ich sonst nicht oder nur eingeschränkt machen kann. Während ich an die vergangenen Zeiten denke, in denen ich alleine war, kommt mir das volle Programm in diesen wenigen Stunden ziemlich anstrengend vor.
Rumliegen und nichts tun, der wahre Luxus!
Vielleicht ist ja wahrer Luxus, einfach auf dem Sofa rumzuliegen, wenn das Kind nicht da ist, oder einen Tag durchzuschlafen? Ich muss zugeben, dass ich manchmal die getrennten Eltern, die sich die Kinder zeitlich aufteilen und dadurch jede Woche mehrere kindfreie Tage haben, beneide. Inzwischen ist mein Sohn größer und ich kann einiges von den Dingen, die ich beschrieben habe auch machen, wenn er zu Hause ist. Trotzdem ist es in diesen Weihnachtsferien das erste Mal, dass ich alleine bin und nicht abends ausgehen kann wegen dem abendlichen Ausgehverbot in ganz Spanien.
„Bleib schön lange weg, Mama!“
Ich ertappe mich bei dem Gedankenspiel: falls durch neue coronabedingte Vorschriften die Heimkehr meines Sohnes beeinträchtigt würde, müsste er vorerst bei seinem Vater bleiben…
Ich kann dieser Vorstellung einen gewissen Reiz abgewinnen, natürlich nur, wenn es sich um ein paar Wochen Verlängerung handelt und nicht um einen wirklich langen Zeitraum! Denn ja, ich will sehen wie sich das große Kind entwickelt und auch weiter bei den wichtigen Dingen dabei sein, als stille Beobachterin im Hintergrund. Das getrennt sein voneinander haben wir schon immer beide sehr gemocht.
Wenn ich den damals 8-jährigen Leo bei Opa und Oma in Deutschland unterbrachte, um ein paar Tage wegzufahren, rief er mir oft ein „Bleib schön lange weg, Mama!“ hinterher. Verwöhnt werden von Oma und Opa geht einfach noch besser, wenn Mama mal nicht dabei ist. Ich habe ihm auch nie verheimlicht, dass auch ich gerne mal ohne ihn bin. Ich glaube, dass es für uns beide gut und erholsam ist, uns in unserer Mama-Sohn-Verbindung ab und zu mal eine Pause zu gönnen. Um so größer die Freude, sich wieder zu treffen!
Leos 3. Geburtstag wird verschoben
Kurz vor Leos 3. Geburtstag wollte ich auf die Kinderbuchmesse nach Italien und Leos Vater konnte ihn in dieser Zeit nicht betreuen. So bin ich damals von Spanien nach Deutschland geflogen, um meinen Sohn bei seinen Großeltern zu lassen, um dann selber weiter nach Italien zu reisen. Verrückt, was man alles tut für eine gute Kinderbetreuung! Bereits in diesem zarten Alter liebte mein Sohn das Abenteuer und ich sehe ihn noch heute freudig winken an der Hand von den heißgeliebten Großeltern.
Auch damals war es kein Problem für ihn, ein paar Tage ohne Mama zu sein und ich konnte guten Gewissens meiner Arbeit nachgehen. Leo hatte in diesen 4 Tagen Geburtstag und erst viel später habe ich ihm gebeichtet, dass ich die Vorstellung an seinem Geburtstag nicht dabei sein zu können so traurig fand, dass wir seinen Geburtstag kurzerhand in diesem Jahr 2 Tage nach hinten verschoben haben. Er wurde ja erst 3 Jahre und er hatte weder sein Geburtsdatum im Kopf, noch den aktuellen Kalender. Wir hätten auch 2 Monate später nochmal seinen Geburtstag feiern können und er hätte es geglaubt. Oder einfach zwei Jahre vergehen lassen zwischen den ersten Geburtstagen, wie gemein! Was für kleine vertrauensselige Wesen diese Kinderchen in dem zarten Alter von 3 Jahren!
Heute gibt es kaum etwas, was ich meinem 16-jährigen Sohn unterjubeln könnte. Vielleicht ginge es höchstens, meinen Geburtstag um 2 Tage zu verschieben, das würde er vielleicht nicht merken, aber was für einen Sinn hätte das? Von seinem eigenen Geburtstag redet er meist bereits 2 Monate vorher, vor allem um mich mit seinen Geschenkvorstellungen vertraut zu machen.
Ein Glas Wein, Schokolade und ein gutes Buch
Wie viel Organisation ich in dieser Kleinkindzeit hatte, unglaublich! Ich musste das Geld verdienen, für das Kind da sein und eine gute Betreuung organisieren, wenn ich mal nicht für das Kind da sein konnte. Und dann noch dieser ganze Freizeitstress, wenn es mal freie Zeit gab! Ich habe heute das Gefühl über ferne Zeiten zu schreiben und frage mich, wie ich das alles damals so geschafft habe. Und ich denke an all die vielen alleinerziehenden Mütter und die wenigen alleinerziehenden Väter und deren tägliche Akrobatik und Herausforderung! Ja ich glaube es ist gut, ab und zu mal daran zu denken, und sich selber mit Stolz auf die Schulter zu klopfen! Und euch da draußen rufe ich zu: „Toll, wie ihr das geschafft habt!“
Das ich abends nicht ausgehen kann im Moment, finde ich verrückterweise gar nicht so schlimm, denn es wird früh dunkel. Ich liege mit einer Wolldecke über den Beinen auf dem Sofa, neben mir ein Glas Wein, Schokolade und ein gutes Buch und ich fühle mich wie das Schaf Selma. Ich mache einfach alles, was ich sonst auch mache und es ist gut so.
Hanne
Liebe Stefanie, ich wurde durch Deine Erinnerungen nostalgisch und auch etwas traurig gestimmt. Dein Humor ist aber erfrischend. Für viele Alleinerziehende eine Empfehlung Deine Zeilen zu lesen. Auf ein Neues!
Stefanie Pfeil
Vielen Dank und herzliche Grüsse! Stefanie