Sommer 1996: Mein Freund Oliver hat Besuch von zwei Freunden aus Deutschland und wir beschließen, ein Auto zu mieten, um zum Dalímuseum nach Figueres zu fahren. Oliver hatte keine Zeit mitzukommen und ich fahre mit Frank, Behruz und zwei Unbekannten. Ich erinnere mich, dass einer der beiden hier lebte und Spanisch mit schwäbischem Akzent sprach. Das Dalímuseum, in seinem Geburtsort Figueres wird als “Dalís letztes großes Werk” bezeichnet. Das Gebäude auf dem Platz eines ehemaligen Theaters ist mit seiner riesigen Glaskuppel auf dem Dach und den großen Eierskulpturen beeindruckend!
Hätte ich damals geahnt, wie dieser Tag enden würde, ich wäre vermutlich besser zu Fuß in das Picassomuseum in Barcelona gegangen. Und das sage ich nicht als schlechtere Alternative, denn ich bin definitiv mehr Picasso- als Dalí-Fan. Oh, das klingt ja ein bisschen wie die ewige Rivalität beim Fussball, hier in Spanien ist man entweder Madridfan oder Barcelonafan. Ich denke in der Kunst muss ich mich zum Glück nicht für einen Künstler entscheiden.
Dalí und das „Gott sein“
Wir kannten alle das eine oder andere Bild von Dalí, aber in die Welt des Surrealisten einzutauchen in diesem, von ihm gestalteten Museum war sehr beeindruckend. Dalí war nicht nur ein Maler, das Museum war voller Skulpturen, Filmausschnitten, von ihm gestalteten Schmuck und Textfragmenten. In seiner Jugend war er enger Freund des Lyrikers und Dramatikers Federico García Lorca und eins ihrer gemeinsamen Werke, die nie fertiggestellt wurden hieß „Gott sein“. In Dalís Biografie steht, dass er unglaublich große Angst vor dem Tod hatte und ich finde viele seiner Selbstbildnisse liegen im Ausdruck irgendwo zwischen dem „Gott sein“ und „Angst haben“.
Nie würde ich an der Größe und Bedeutung dieses Künstlers zweifeln und trotzdem war ich irgendwann erschlagen von den vielen Selbstbildnissen, die uns überall in dem Museum mit angstgeweiteten Augen von oben herab anstarrten. Irgendwie hatte ich dauernd das Gefühl, beobachtet zu werden und meinem Freund Frank ging es genauso. Bei einer Büste mit einem Baguette auf dem Kopf und Maiskolben um den Hals konnten wir nicht mehr ernst bleiben und bei jedem neuen Selbstbildnis bekamen wir alberne Lachanfälle.
In dieser Stimmung hatten wir mehr und mehr das Gefühl von Dalí beobachtet und abschätzig beurteilt zu werden. Irgendwann kam es uns so vor, als würde er nur auf uns beide herabschauen und wir bildeten uns ein, dass sich seine Augen dabei bewegten…
Der Künstler, das Brot und die Frauen
Dalí wurde lebendig. Er sah uns dabei zu, wie wir seine Ausstellung anschauten, und da wir das ziemlich angsteinflößend fanden, retteten wir uns in dumme Sprüche. Das „Brotmotiv“ tauchte überall auf, es gab: Skulpturen mit Broten, Brotuhren und Stillleben mit Brotkorb. Brot war eins der Fetische Dalís. Die anderen drei Freunde waren inzwischen ziemlich genervt von uns, so dass Frank und ich am Ende alleine in der Ausstellung herumliefen. Versteht mich nicht falsch, Dalí ist einer der größten Surrealisten unserer Zeit und seine Lebensgeschichte ist faszinierend. Seine große Liebe und Muße war Gala, die ihn bis zu seinem Lebensende, wenn auch nicht mehr als Partnerin, begleitete.
Ihre Beziehung scheint durchdrungen von einer fast pathologischen Abhängigkeit Dalís von ihr. Nach ihrer Trennung kaufte er ihr ein Schloss, wo er sie nur besuchen durfte, wenn sie ihm vorher die Erlaubnis gab. Buñuel sagte einmal sinngemäß über Dalí: wenn Dali Frauen verführt, ist es wahrscheinlicher, dass er ihnen ein Spiegelei auf die Schulter legt, als Sex mit ihnen zu haben. In Dalís zweiter Lebenshälfte wird die wesentlich jüngere Amanda Lear 15 Jahre lang seine Muße. Amanda Lear kenne ich noch als Kind aus der Hitparade und fand ihre tiefe Stimme faszinierend, irgendwie hatte sie eine sehr erotische und verruchte Aura.
Ob auch auf ihrem Körper manchmal Spiegeleier lagen?
Dalís Brot im Restaurant
Nach dem Museumsbesuch gingen wir in einem Restaurant essen und bekamen zum Essen ein Weißbrot serviert, was hart und alt war. Wir vermuteten auch das sei Dalís Werk. Ihm zu ehren müssen alle Anwohner Figueres für alle Zeiten diese alten Brote essen. Vielleicht war es auch nur Dalís Rache für unsere fehlende Ernsthaftigkeit seiner Kunst gegenüber.
Der Unfall – Glück im Unglück
Dann kam die Heimfahrt nach Barcelona. Es war die Zeit, wo sich kaum jemand, der hinten saß, anschnallte und so saßen auch wir hinten ohne Gurte. Wir fuhren weit über hundert auf der Autobahn, als von Hinten jemand in unser Auto raste. Unser Auto überschlug sich mehrere Male und das nächste, woran ich mich erinnere war, wie Fahrer und Beifahrer verkehrt herum im Auto sitzen. Dann kam ein Filmriss und ich liege auf der Straße, ein Krankenwagen ist bereits da. Der Schwabe liegt reglos neben mir und ich mache mir große Sorgen, dass er schwer verletzt ist.
Das Verrückte: niemand ist schwer verletzt! Dem Schwaben war nur schlecht, weil er sich so erschreckt hatte. Ich erinnere den Unfall ohne Geräusche, alles in Orangetönen. Hinterher erzählte mir Frank, dass nach dem Aufprall das Radio plötzlich anging. Gespielt wurde ein Song von Amanda Lear! Ich hatte die meisten Verletzungen, musste am Kopf genäht werden und habe in Folge des Unfalls Rückenprobleme. Kleinigkeiten im Vergleich zu der Größe des Unfalls, das Auto war ein Haufen Schrott. Frank hatte einen Finger verstaucht und der Schwabe ein Schleudertrauma. Der Rest der Crew hatte nichts! Auch im anderen Auto war niemand verletzt. Es grenzte an ein Wunder!
Notaufnahme im Keller von Gaudís Krankenhaus
Ich wurde dann in das Hospital de Sant Pau gebracht, ein altes Krankenhausgebäude von Antoni Gaudí entworfen und ich freute mich darauf. Ich sah mich in einem Zimmer mit riesigen Fenstern mit Blick auf einen der schönen Pavillons des Krankenhauses.
Der Unfall war mitten in den Sommerferien passiert und das Krankenhaus heillos überbelegt. Dazu gab es kaum Ärzte und ich wurde in den Keller der Notaufnahme gebracht, nachdem meine Kopfverletzung genäht waren. Ich erinnere mich an komische Details: alle Ärzte und Pfleger sahen unglaublich gut aus! Vermutlich hatte das auch mit dem Endorphinschub, den ich nach dem Unfall hatte zu tun, denn ich hörte auch bei der OP nicht auf, albernes Zeug zu reden.
Nicht die gute Unterwäsche anziehen vor einem Verkehrsunfall
Ich hatte mir kurz vor dem Unfall neue Unterwäsche gekauft, die viel teurer war als das, was ich sonst trug. Weil eine Rückenverletzung nicht ausgeschlossen werden konnte, durfte ich nicht bewegt werden und die Unterwäsche musste mit einer Schere aufgeschnitten werden. Ich bettelte die Ärzte an, dies nicht zu tun und machte meine Witze über die Sprüche, immer mit guter Unterwäsche aus dem Haus zu gehen, falls man einen Unfall hat. Das Gegenteil macht Sinn: wenn du einen Unfall hast, hast du hoffentlich deine hässlichste schäbigste Unterwäsche an, weil sie dir evtl. von einem gutaussehenden Arzt kaputtgeschnitten wird.
Vergessen Im Krankenhauskellerflur
Ich lag dann also alleine eine Nacht auf dem Flur der Notaufnahme und jedes Mal, wenn ein neues Bett eilig hereingeschoben wurde, bekam mein Bett einen Stoß. Eine Neonlampe war direkt über mir und hinter mir lag ein älterer Herr, der immer „Ich sterbe!“ rief und dabei mit dem Kopf gegen die Wand dotzte. Ich durfte nicht aufstehen doch niemand kam, wenn ich klingelte, um mich auf die Toilette zu begleiten. In meinen Haaren waren immer noch die blutverklebten Scherben des Unfalls. Da ich in dem Ferienchaos nicht richtig registriert wurde, fanden mich meine Freunde am nächsten Tag nicht und ich dachte, die Welt hatte mich verlassen.
Dalís Rache und das große Glück der Wiedergeburt
Als ich endlich wieder zu Hause war und nachdem ich mich körperlich erholt hatte, lief ich mit einem großen Glücksgefühl durch die Gegend, wiedergeboren zu sein.
Frank und ich nannten den Unfall „Dalís Rache!“ und sind seitdem noch mehr von der Macht Dalís überzeugt. Er hat vermutlich auch darüber gewacht, dass niemand wirklich schwer verletzt wurde, also auch dafür nochmal danke im Nachhinein!
Alfred Hitchcock provoziert Schneeträume und Dalí gewinnt
Verrückterweise habe ich danach ganz viel von Unfällen im Schnee geträumt und konnte mir das nicht erklären. Eines Tages sah ich in der Filmoteca in einer Hitchcock-Reihe einen meiner Lieblingsfilme: „Ich kämpfe um dich“ mit Gregory Peck und Ingrid Bergmann. Da wurde mir klar, warum ich dauernd von Unfällen im Schnee träumte: Ein Skiunfall beschäftigt das Unterbewusstsein des Mordverdächtigen Gregory Peck. Seine Psychotherapeutin Ingrid Bergmann hilft dabei, den wahren Begebenheiten auf die Spur zu kommen. Es gibt in dem Film eine Traumszene, die von Salvador Dalí entworfen wurde!
Und hier schließt sich der Kreis. Dalí hatte es geschafft, mich bis in meine Träume zu begleiten und ich muss sagen, selten hat mich ein Künstler so nachhaltig beeindruckt. Im Fußball würde man sagen: 1:0 Salvador Dalí – Pablo Picasso.
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