Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Kolumne: Morgens siehst du aus wie ein toter Clown!

Raketenstart direkt bei null 

Wir alle kennen die Bilder von Raketen, die ins All geschossen werden und haben den laut gezählten Countdown im Ohr. Ten, nine, eight und so weiter bis die Rakete bei null mit einem riesigen Feuerstrahl, viel Rauch und Getöse ins All donnert. 

So reagiert mein Sohn auf vieles, was ich sage, nur ohne Countdown. Raketenstart direkt bei null.  

Leo hat heute einen Fototermin und ich habe gegen meine sonstige Gewohnheit ein paar Hosen und Hemden von ihm gebügelt. Ich bin kein Fan von Bügeln und kaufe mir Klamotten, denen ich ansehe, dass sie kein Bügeleisen brauchen.  

Fototermin für die Schauspielagentur

Mein Sohn hat es geschafft, einen Platz in einer Agentur zu ergattern, die junge Schauspieler*innen vermitteln, bzw. diese zu Castings zu schicken. Alles ist möglich, manche Schauspieler*innen können bei Werbespots oder bei Serien mitspielen, manche werden sogar für eine Filmproduktion gebucht. Wieder andere sind bereits ein Jahr dabei, gehen zu diversen Castings und werden nie genommen. Egal wie es bei Leo sein wird, es ist bestimmt eine bereichernde Erfahrung für ihn. Im Moment ist es erstmal eine Menge Vorbereitung und wir brauchen Fotos und Videos für die Website der Agentur. 

Eine gute Freundin ist Fotografin und wir haben die große Ehre, dass sie heute am Strand die Fotos von Leo machen wird. Ich darf dabei sein, als eine Art Assistentin im Hintergrund. Für die Fotos braucht Leo verschiedene Outfits. Es gibt ein sportlich-jugendliches, ein elegant-neutrales und ein Gangster-Rapper Outfit. Gestern waren wir extra noch im Secondhand-Laden, um ein paar günstige Hemden und Anzugjacken zu ergattern. Die Metamorphose von meinem Sohn, der mit Goldketten, Käppi und Sportmarkenkleidung immer ein bisschen wie ein Gangster-Rapper aussieht, zu einem eleganten, smarten jungen Mann ist unglaublich! 

Mein Sohn geht in die Luft

Ich hatte bereits gestern Abend einen Teil der Klamotten gewaschen und gebügelt und so akkurat wie es mir möglich ist gestapelt. Dann kommt Leo ins Esszimmer und sagt, er bräuchte das weiße T-Shirt. Mit einem Griff zieht er das T-Shirt aus dem Stapel und schmeißt die gesamte Bügelwäsche durcheinander.  

Ich kann gerade noch „Hey, pass auf, das habe ich doch gerade alles ordentlich übereinandergelegt!“ rufen. 

Dann der Raketenstart: 

„Ey Mama, reg dich ab und chill mal, is ja wohl echt nix passiert!“ in einem Ton und einer Lautstärke, die mich einen halben Meter zurückweichen lassen. 

„Schrei mich nicht so an Leo und leg die Klamotten wieder ordentlich hin“. 

„Ich schreie überhaupt nicht, du hast mich voll angemacht wegen der Klamotten.“ Antwortet er laut und wütend. 

Ich schreie?

Die Baustelle im Gehirn eines Jugendlichen

In letzter Zeit passiert es sehr oft, dass ich etwas sage und Leo ist sofort auf 180. Manchmal ist die Reaktion so krass, dass ich völlig vergesse, worüber wir gerade geredet hatten. Das Schema ist immer das gleiche: Ich sage irgendetwas und er findet es völlig nervig, abwegig, schlimm und reagiert impulsiv. Sein Ton ist dabei so laut, wütend und manchmal respektlos, dass es mir schwerfällt, ruhig zu bleiben. Dann steige ich emotional in die Diskussion ein und es geht gar nichts mehr. 

Besser ist es, ruhig zu bleiben wie bei einem Raketenstart, der in der Ferne passiert. Innerlich könnte ich zum Beispiel rückwärts von 10 bis null zählen. Dem Ganzen etwas Zeit lassen und die Ruhe bewahren ist leider auch nicht immer mein Stil. Wenn dann die Rakete nach einem krachenden Start ruhig durchs All gleitet, ist der Moment, nochmal miteinander ins Gespräch zu kommen. Das funktioniert ganz gut mit Leo. Vermutlich hat er recht, wenn er manchmal nach einer Ermahnung von mir, er solle bitte nicht so herumbrüllen sagt: „Du schreist ja auch!“ „Ich schreie gar nicht!“, rufe ich dann zurück…

Ein gutes Beispiel sein, das ist nicht immer einfach! Vielleicht bin ich ja selber impulsiver und lauter als ich denke? Um mich in Geduld zu üben, werde ich mir jetzt Raketenstarts anschauen und dabei sehr langsam rückwärts zählen. Ich denke, ich fange bei 20 an. Twenty, nineteen, eighteen, seventeen…  

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