Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Kolumne: Morgens siehst du aus wie ein toter Clown!

Peinliche Mütter in der Schule

Bloß nicht zusammen mit der eigenen Mutter gesehen werden

Bereits am ersten Tag in der 7. Klasse der neuen Schule war klar, mein Sohn werde alles dafür tun, um nie gemeinsam mit mir dort gesehen zu werden. Nicht, dass ich daran interessiert gewesen wäre einen damals 12-jährigen zur Schule zu bringen, aber an diesem ersten Tag musste ich einige Formalitäten im Sekretariat klären, so dass wir denselben Weg hatten. Gemeinsam sind wir von zu Hause losgeradelt und 100m vor der Schule sollte ich stehenbleiben und ihm ein paar Minuten Vorsprung geben. Geschenkt, ich kann mich selbst noch gut an das Gefühl als Jugendliche erinnern, peinliche Eltern zu haben. Bei Leo muss man dazu sagen, dass nur ich in seinen Augen extrem peinlich bin, sein Vater nicht. Das ist der Lohn als alleinerziehende Mutter immer für das Kind da zu sein, der Vater lebt weit weg, und wer ist peinlich? Ich! Ok wenn’s denn der guten Entwicklung des Kindes dient, dann nehm ich auch das in Kauf.

Eine Liste der besseren Mütter

Vor kurzem hat mein Sohn mir eine Liste aller Mütter aus unserem Umfeld aufgezählt, die er lieber als Mutter hätte als mich. Bei so einer Liste sind immer mindestens 2 Mütter dabei, bei denen auch ich sagen würde, ok, ich kann‘s verstehen! Sie sind nicht aus der Ruhe zu bringen, fürsorglich, großzügig, sehen schön aus, alles schmeckt lecker, was sie kochen und sie stellen das Wohl ihrer Kinder immer an die erste Stelle. Wer möchte nicht so eine Mutter haben? Bei diesem Vergleich kann man nur verlieren.

Aber die Mutter von Alex? Immer am Rauchen, kümmert sich kaum um die Kinder, ja ich würde sagen eine gewisse Verwahrlosung charakterisiert diese Familie. Auch diese Mutter hätte er lieber als mich? Er bejaht ohne mit der Wimper zu zucken. Jetzt ist Ruhe bewahren gefragt, denn: alles wird eingesetzt im Kampf gegen die eigene Mutter, es gehört einfach zum Spiel. Jetzt könnte ich eine Liste beginnen mit all den Kindern, die ich lieber hätte als ihn, aber ich tue es nicht, denn irgendwie tief in meinem Inneren weiß ich immer noch, dass er mein absolutes Lieblingskind ist, auch wenn er alles versucht, damit ich vergesse, warum eigentlich.

Was macht mich so peinlich?

Ich muss vielleicht noch dazu sagen, dass ich keine äußeren Merkmale habe, die extrem abstoßend sind, ich mache keine komischen Geräusche und habe auch keinen sehr penetranten Geruch. Was ist es also, was mich in Leos Gefühl so unerträglich peinlich macht? Ich vermute, es ist einfach total uncool mit der eigenen Mutter gesehen zu werden, das bedeutet: keine Freunde, Muttersöhnchen, soziale Ausgrenzung.

Dann kommt dazu, dass Leo und ich als Kleinstfamilie immer eine sehr enge Beziehung hatten und da muss man eben auch ein bisschen mehr Kraft im Kaputtmachen aufwenden, wenn man frei sein will für alles, was der neue Lebensabschnitt bietet. An guten Tagen, kann ich diese Ablehnung meiner Person also mit einer gewissen Empathie und einem Augenzwinkern annehmen. An schlechten Tagen, fällt mir das etwas schwerer, aber das ist ein anderes Kapitel.

Jubiläumsfest in der Schule

Wir haben ein großes Jubiläumsfest in der Schule und mein Sohn und einige seiner Freunde führen Teile aus Grease auf. Travoltafrisuren und enge Lederjacken müssen organisiert werden. Ein inzwischen haarloser Vater eines Mitschülers, der sich als ehemaliger Rockabilly entpuppt, bietet sich an, vor dem Auftritt den Jungs verwegene Haartupes zu frisieren.

Ich biete mich inzwischen für gar nichts mehr freiwillig an, weil ich weiß, wie ungern mein Sohn mich an seiner Schule sieht. Diesmal wurde ich aber um Hilfe gebeten und habe zugesagt. So verlief die Vorabsprache mit meinem Sohn:

  • Leo, ich werde am Samstagvormittag helfen, euch Travoltafrisuren zu machen.
  • Oh nee, muss das sein?
  • Ich würde auch lieber Schwimmen gehen, aber ich wurde darum gebeten.
  • Bitte sei nicht peinlich.
  • Was meinst du genau damit?
  • Erzähl nichts über mich und frag die Jungs nichts Peinliches.
  • Worüber kann ich denn reden, was in deinen Augen nicht peinlich ist?
  • Red am besten gar nicht.

Kann das sein, dass der Wunsch der großen Freiheit der Jugendlichen, keinen Millimeter Raum für die Freiheit der Eltern lässt? Das ganze Universum dreht sich um sie, auch wieder einmal hormonell bedingt, vermutlich. Der Tag des Schulfestes verläuft relativ reibungslos: natürlich will mein Sohn nicht, dass ich ihn frisiere und auch wenn ich mit anderen Jungs gegen seinen Willen rede, bekomme ich ab und zu warnende Blicke, nach dem Motto:Jetzt nicht weiterfragen! Nicht persönlich werden! Du wirst gerade total peinlich!

Diese Blicke musst du als Mutter ignorieren lernen. Nüchtern betrachtet ist es unglaublich, dass mein Sohn besorgt ist, dass ich peinlich sein könnte für ihn, wenn man bedenkt, dass er mit einer Jeans, einer viel zu kleinen Lederjacke seiner Mutter und Travoltafrisur gleich in seiner Schule mit einer Horde Jugendlicher ein paar Songs von Grease, einem Musical aus den 80er Jahren, interpretieren wird. Ist mir das peinlich? Nein, ich finde es wunderbar! Nur zu meiner Belustigung stelle ich mir die Situation umgekehrt vor:

Leo kommt, um mich und meine Freunde bei einer Greasevorstellung zu unterstützen. Ich glaube, meinem Sohn würde vor lauter Fremdschämen gleich den Außerirdischen im Film Marsattacks das Gehirn explodieren.

Die Greasevorstellung ist super, das Publikum tobt und ich glaube, Leo kann für einen Moment vergessen, dass ich in der 4. Reihe sitze. Ach ja, auch eine Kunst, sich so zu setzen, dass ich sehr gut sehen kann, und trotzdem nicht die oberpeinliche Mama in der ersten Reihe bin. Ab der 4./5. Reihe seitlich ist ok, denn es ist natürlich total wichtig hinterher zu Hause alles kommentieren zu können und zu zeigen, dass ich nicht die kleinste Kleinigkeit verpasst habe. Ach ja, und dann der Applaus: Zu auffällig klatschen oder womöglich „bravo“ oder „huhu“ oder ähnliche Begeisterungsausrufe von sich zu geben, sind ein absolutes no go! Klatschen und dabei zustimmend in sich hinein lächeln ist ok, aber auch wirklich die maximal erlaubte Emotion.

Ein Hoch auf alle Grundschullehrerinnen!

Ach wie schön war es damals, als mein Kind in die Grundschule ging! Als Kinderbuchillustratorin gab es oft Gelegenheiten, irgendeine Aktivität mit den Kindern aus Leos Klasse zu machen. Er war dann ganz aufgeregt, wollte immer neben mir sitzen und ganz viel mitmachen. Wenn ich die Kinder mal auf einen Ausflug begleitet habe, wich er mir nicht von der Seite und konnte kaum aushalten, dass auch andere Kinder mal an meiner Hand gehen wollten. So schön das damals war, die Erinnerung verklärt vieles, denn:

Drei Stunden am Stück mit einer Horde 6-jähriger, die alle aufgeregt durcheinanderreden, zwei streiten sich, einer sitzt weinend unter dem Tisch, während dir eine andere laut zuruft, was ihr Hamster heute morgen Lustiges gemacht hat, ist auch sehr, sehr anstrengend! Ich bin immer sehr beglückt und gleichzeitig erleichtert diesem Flohzirkus entkommen, mit dem beruhigenden Gefühl jetzt erstmal nicht mehr wiederkommen zu müssen. Ein Hoch auf alle Grundschullehrerinnen, ihr habt meinen größten Respekt!

Eltern, seid peinlich!

Und wie komme ich jetzt klar mit dem Gefühl, alles was ich mache oder sage in Gegenwart meines Sohnes und anderen Menschen ist peinlich für ihn? Den größten Fehler, den ich machen kann ist es anzufangen, mich mit den Augen eines Jugendlichen zu betrachten, auch wenn dieser nicht dabei ist. Denn diese Augen verurteilen gnadenlos und sind 100% empathiefrei!

Das könnte dazu führen, dass ich mich nur noch ganz sparsam bewege, kaum rede und möglichst wenig Mimik einsetze. Freiheit für mich bedeutet, das Recht zu haben, peinlich zu sein! Ich denke ich bin jetzt in einem Alter, wo ich mir das verdient habe. Liebe Mütter und Väter von Jugendlichen: Tanzt und bewegt euch komisch, redet und lacht laut und weint, wann immer euch danach zumute ist und feiert diese Freiheit!

Ja, ich weiß, in Gegenwart des oder der Jugendlichen ist das nicht immer einfach, aber macht es wenigstens in den Momenten, wo diese/r nicht dabei ist. Also nochmal zusammengefasst: ein Hoch auf alle Grundschullehrer/innen und auf alle peinlichen Mütter und Väter!

  1. Frank

    Supeerr!!! Mach so weiter!

  2. Andrea

    Toll geschrieben, lustig, lebendig, da erkenne ich vieles wieder, schoen, dass wir alle peinlich sind!!! Ich freu mich auf die nächsten Geschichten !!!
    Andrea

  3. Fritzchen

    Liebe Stefanie, ich freue mich schon auf die Zeit über 80 Jahre, dann kann man lustig und komisch sein, Du kannst tanzen, singen und Deine Garderobe nach Lust und Laune aussuchen. Die Kinder sind dann froh, dass Du nicht krank im Bett liegst und finden alles cool.
    Eine schöne Zeit!
    Ich freue mich auf Neues von Stefanie !

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