Nur zwei Wochen ist es her, dass ich aus meinem Deutschlandurlaub wiedergekommen bin und jetzt sitz ich hier und schaue aus dem Fenster und könnte schon wieder verreisen…
Dabei fallen mir unsere Urlaube aus der Kinderzeit ein. Wenn die Sommerferien anfingen, packten wir unseren olivgrünen Audi80 voll und fuhren in den Süden. Der Süden, das hieß bei uns Lignano, Norditalien. Ich glaube im Nachhinein, dass alle Deutschen, die in den 70ern in Italien Urlaub machten, nach Lignano fuhren. Es war ein neuer Trend: Urlaub mit Familie im Süden Europas, und wir waren dabei!
Mit dem Audi80 nach Lignano
Die Fahrt dahin war für mich das erste große Abenteuer. Zum Schlafen waren wir drei Mädchen auf 3 Ebenen verteilt: Meine älteste und größte Schwester auf der Sitzbank, die mittlere Schwester auf der Hutablage und ich unten im Fußraum, der mit Wolldecken ausgepolstert war. Anschnallgurte? Damals gab es die nur vorne im Auto, hinten war Anarchie! Ich lag allerdings nicht viel unten in meinem Schlafparadies, denn ich stand die meiste Zeit zwischen den Sitzen meiner Eltern und schaute aus dem Fenster, denn ich wollte keinen Moment dieser aufregenden Reise verpassen. Ich glaube, ich redete ununterbrochen. Wie anstrengend muss das für meine Eltern gewesen sein! Das Gute daran, nie zu schlafen war, ich habe tatsächlich nichts verpasst.
Am meisten hat mich mit meinen 6 Jahren beeindruckt, durch ein Erdbebengebiet zu fahren. In der Gegend von Venetien gab es Mitte der 70er Jahre ein Erdbeben und wir sahen hunderte von Zelten, die als Notunterkünfte aufgebaut waren. Ich weiß nicht, ob ich damals die Tragik des Ganzen verstand, für mich war nämlich in dieser Zeit Zelten toll. Ich glaube aber, die Reaktion meiner Eltern hat mir gezeigt, dass hier etwas Schlimmes passiert war und ich war ein Teil davon!
Meine Schwestern haben jedes Jahr all diese spannenden Dinge verschlafen und sich hinterher geärgert. Manchmal haben wir in Österreich übernachtet, oder mein Vater ist mit uns einfach durchgefahren. Picknick auf der Raststätte auf einer Wolldecke direkt neben dem Auto, gehörte auch zu diesen Fahrten. Meine Mutter hatte meist Frikadellen und andere Leckereien vorbereitet und alle waren wir voller Vorfreude auf den Urlaub.
Wir fuhren über den Brenner, ich glaube damals sind wir noch Landstraße gefahren mit vielen Staus wegen Unfällen. Ab und zu sahen wir ein kaputtes oder ausgebranntes Autowrack am Straßenrand, ein Bild was mich erschreckte und faszinierte zugleich. Irgendwann waren wir dann endlich am Ziel: Ein Bungalowdorf in Lignano. Es war eine Art riesiger Campingplatz mit kleinen Bungalows, nicht sehr weit vom Strand.
Kinderfreiheit und: „Wo sind meine Eltern am Strand?“
Der Strand war das größte Abenteuer. Hier tummelte sich gefühlt ganz Nordeuropa. Die Strände waren so voll, dass es unglaublich schwer war, nach dem Baden die Familie wiederzufinden. Es waren andere Zeiten als heute, denn wir Kinder waren oft unter uns. Wir lernten andere Kinder kennen oder waren einfach mit unseren Geschwistern. Heute würde man vermutlich an so einem vollen Strand kein 6-jähriges Kind alleine losziehen lassen, aber damals machten das alle so. Mittelgroße Kinder passten auf kleine Kinder auf und kleine Kinder passten auf ganz kleine auf.
Manchmal konnte es passieren, dass ich ein bisschen zu lange an meiner Tropfsandburg baute und dabei den Anschluss an meine Gruppe verlor. Dann ging die Suche los zwischen Sonnenschirmen und Handtüchern, Luftmatratzen und dem Geruch nach Sonnencreme. Ich glaube, dass wir den halben Tag damit verbrachten, unsere Familie zu suchen. Wir fanden sie auch immer wieder und meist hatte niemand gemerkt, dass irgendwer fehlte. Oft fuhren wir mit einer befreundeten Familie, die auch Kinder hatten nach Lignano in Urlaub und so war ich ein Kind unter vielen.
Kennt ihr den Kinderwunsch, Einzelkind zu sein? Versteht mich nicht falsch, ich bin sehr froh zwei wunderbare Schwestern zu haben. Ich meine den Wunsch als Kind, alle Aufmerksamkeit der Eltern alleine zu haben. Das war mit zwei Schwestern nicht so einfach, also suchte ich mir andere Familien. Familien mit weniger Kindern. Ich erinnere mich an eine Familie mit einem Baby, mit dem ich gerne spielte. Ich fand auch die Eltern toll, vor allem den Vater und ich konnte mal ausprobieren wie es ist, die große zu sein. Der Vater des Babys hat mir einen Ferrari aus Sand gebaut, in den ich mich setzen konnte. Davon gibt es sogar ein Foto. Diese „70er Jahre Fotos“ mit abgerundeten Ecken und alle Farben haben so einen Gelbstich.
Es wurde damals auch nicht so viel fotografiert wie heute in den Familien. Gefühlt gab es ungefähr ein Foto pro Urlaub. Ich habe ein Fotoalbum von meiner gesamten Kindheit und ich glaube, das war damals völlig normal, wenn deine Eltern nicht zufällig Fotografen waren. Ich bin auch mit dem Schlauchboot mit dieser fremden Familie gefahren und ich finde im Nachhinein verrückt, wie das damals alles ging. Konnte man als kleines Kind einfach zu einer neuen Familie gehen und mit denen Stunden am Strand verbringen? Ich glaube das war so, vielleicht hat es auch niemand gemerkt.
Lass mich mal auf die Luftmatratze!
Wir hatten eine Luftmatratze und immer wollten wir Kinder diese haben. Wenn eine von uns sie zuerst hatte, versuchten wir anderen sie runterzuschmeißen und selber draufzuklettern, so lange bis wir wieder runtergeschmissen wurden.
Sonnenbrände gehörten damals auch zu einem richtig guten Urlaub. Sonnencreme war ein Luxus und besonders am Anfang des Urlaubs verbrannten wir uns einmal so richtig. Ich erinnere mich an die schlaflose Nacht nach dem Sonnenbrand und den Geruch von Zitrone auf der Haut, die angenehm kühlte. Dann schälte man sich ein bisschen und war resistenter gegen die Sonne.
Damals war das günstigste Essen Pizza, Pasta oder Pollo und wir liebten es! Meine Mutter fand, einmal am Tag essen gehen reicht. Mein Vater und wir drei Mädchen wollten zweimal essen gehen oder Essen holen, weil alles so lecker war. Ich glaube, die Pizza kostete umgerechnet ungefähr 1DM, heute 50 Cent.
Ich habe heute noch den Geruch und Geschmack von Pastasciutta im Kopf, die wir Pastaschutta nannten. In den 70ern nannte man in Deutschland Spaghetti mit Bolognese und Parmesan so, mmmmh köstlich! Heute weiß ich, dass Pastasciutta im Italienischen einfach nur Nudeln heißt, unabhängig von der Sauce. Ich vermute, in Lignano hat sich damals so mancher Restaurantbesitzer an die Verdeutschung italienischer Vokabeln gewöhnt und es so in die Speisekarte übernommen. Ein bisschen peinlich im Nachhinein, aber auch Teil der 70erjahre Urlaube.
Das italienische Eis war auch auf jeden Fall noch besser, als wir es aus der italienischen Eisdiele unserer Heimatstadt kannten. Faszinierend fand ich als Kind auch die italienische Lira. Ich habe auf einem Zebrastreifen einmal einen 10.000 Lira Schein gefunden und ich dachte, ich bin jetzt reich. Ich hatte damit nicht für den Rest meines Lebens ausgesorgt, aber ich konnte ein riesiges Eis für mich davon kaufen und meine Schwestern zu einem normal großen Eis einladen.
Manchmal gingen wir spätabends nochmal zu dem leeren Strand mit der Familie. Besonders schön war es dann, mit unserer Mutter nochmal baden zu gehen, gerne auch mal ohne Badeanzug.
Stundenlanges Boccia Spielen vor unserem Bungalow gehörte auf jeden Fall auch in meine Urlaubserinnerungen.
Vielleicht ist bei diesen wunderbaren Urlauben meine Reiselust geweckt worden und dieses Gefühl von zu Hause im Süden Europas. Wie sieht wohl Lignano heute aus? Vielleicht könnte ich nochmal dort hinfahren. Nee, ich denke, ich bleibe bei meinen Erinnerungen und den 3 gelb ausgeblichenen Fotos davon. Ein Dank zum Schluss an meine Eltern, die keine Mühe gescheut haben, uns jedes Jahr in diese wunderbare, abenteuerliche Welt mitzunehmen. Urlaub ist erstmal nicht drin bei mir, aber vielleicht könnte ich heute Pastaschutta kochen.
Herbert
Sehr amüsant erzählt. Da wäre ich auch gerne dabei gewesen. Man sollte mal dort Urlaub machen!