Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Kolumne: Morgens siehst du aus wie ein toter Clown!

Nachbarschaftliche Lärmbelästigung trotz 3-fach Verglasung

Mein Sohn hört Musik. Den ganzen Tag. Seine Musik begleitet ihn durch die Wohnung, auf der Straße, in der Toilette. Er hat immer einen Lautsprecher in der Hand, wenn er aus seinem Zimmer geht, auch wenn er sich nur ein Glas Wasser aus der Küche holt. Manchmal frage ich mich, ob er überhaupt noch laufen kann ohne Musik?

Ich sitze an meinem Schreibtisch und höre die dumpfen Bässe aus seinem Zimmer, der Boden vibriert leicht. Das ist meine stetige Begleitmelodie, mit der ich gut leben kann. Genauso wie das Rauschen der Straße draußen und das immer schneller werdende Tuck Tuck Tuck, wenn die Züge von dem Bahnhof nebenan über die Gleise fahren. Das schrille Quietschen der Bremsen bei der Zugeinfahrt gehört ebenfalls zu meinen Alltagsgeräuschen. Wir leben in einer Großstadt und es ist nie wirklich leise in unserer Wohnung. Und dann gibt es noch die Geräuschkulisse innerhalb unserer Wohnung:

Laute Musik und donnernde Türen

Plötzlich ein Krachen, Leos Tür wird mit einem Schlag aufgerissen und ich werde mit voller Lautstärke mit seiner Musik beschallt. Warum reißt er die Tür auf, als sei er in Lebensgefahr und habe nur eine Sekunde, um sein Zimmer zu verlassen? Ich erschrecke mich jedes Mal aufs Neue und mindestens jedes zweite Mal sage ich:

„Leo, kannst du bitte mal die Tür leiser auf und zu machen?“

Er murmelt eine Antwort, die irgendwo zwischen „Tschuldigung“ oder „Hab‘s nicht gemerkt“ liegt, und die bei der lauten Musik kaum zu verstehen ist.

Warum kann sich ein Jugendlicher nicht merken, dass er die Tür nicht so auf und zu donnern soll? Egal, wie oft ich ihn darauf hinweise, er vergisst es im selben Moment wieder. Natürlich braucht er auch beim Duschen Musik und auch, wenn er auf der Toilette sitzt. Das Schlimmste für mich ist nicht die Musik, die aus dem Bad und aus seinem Zimmer hinter verschlossenen Türen schallt, sondern die Wege innerhalb der Wohnung, bei denen er die Musik auf voller Lautstärke weiterhört.

Egal, ob ich beim Arbeiten Radiomusik oder Podcasts höre, ob ich vielleicht gerade telefoniere, mein Sohn donnert und poltert aus seinem Zimmer und überschallt alles!

Ja, ich weiß, Kopfhörer könnten manchmal helfen und wenn ich besonders große Konzentration und Ruhe brauche, sage ich ihm das auch manchmal. Aber ehrlich gesagt befürchte ich, dass er in wenigen Wochen taub sein würde, wenn er diese laute Musik auch noch auf Kopfhörern hört. Den Satz: „Bitte Leo, mach die Musik leiser!“ höre ich mich so oft sagen, dass er mich bereits selber langweilt.

Und jetzt auch noch ein Boxsack!

Wenn es um laut sein geht, kann meinen Sohn niemand toppen! Seine Stimme ist sehr laut und wenn er hinter geschlossenen Türen telefoniert oder mit der Playstation spielt, höre ich jedes Wort. Schon als Kleinkind hat Leo sogar beim Schlafen laute Geräusche gemacht. Es klang ein bisschen, als hätte sich Darth Vader laut atmend im Kinderzimmer versteckt. Es war allerdings nur Leo, der chronisch verschnupft so laut atmete.

Coronabedingt hat sich mein Sohn kürzlich ein kleines Fitnessstudio in seinem Zimmer eingerichtet. Erst war nur die Rede von einem Boxsack. So ein Sack muss aber auch irgendwo hängen und unsere Zimmerdecken sind nicht stabil genug. „Kein Problem, ich habe mit Papa schon ein Gerüst bestellt, an den man den Sack hängen kann!“

„Oh“ denke ich, „ein Gerüst, das einen Boxsack tragen kann ist sicher ganz schön groß für Leos kleines Zimmer. Ob Leos Papa da wohl ein bisschen mitgedacht hat? Vermutlich nicht…“

Es dauerte einen ganzen Nachmittag, bis Leo das Gerät aufgebaut und den riesigen Boxsack daran gehängt hat. Das Gerüst reicht bis knapp unter die Decke und der Ständer, der den Sack hält, ist genauso breit wie Leos gesamtes Zimmer.

Von der Tür kam man nicht mehr ans Fenster, ohne über das Gerüst zu steigen und den Boxsack beiseite zu schieben. Mein erster Impuls ist: „Das Ding muss weg!“ Leo hat mich dann allerdings überzeugt, dass sei alles richtig cool und er müsse ja schließlich in diesem Fitnessstudio leben, nicht ich.

In dem Moment ist mir noch nicht klar, dass der Metallständer bei jedem Boxschlag laut gegen den Boden donnert. So haben wir uns eine weitere Quelle der Lärmbelästigung ins Haus geholt! Ich war mir sicher, der Nachbar unter uns würde sich beschweren, aber als ich ihn fragte, sagte er, er höre nichts.

Die Nachbarn beschweren sich

Heute morgen klingelt es bei mir an der Haustür. Eine Frau mit Atemschutzmaske steht vor mir und ich habe keine Ahnung, wer das sein kann. Die Postbotin?

Sie sei die Nachbarin über mir, sagt sie. Es sei ihr sehr unangenehm, aber sie wolle mir sagen, dass sie die Musik in unserer Wohnung stört. Sie habe Vibrationen der Bässe in ihrer Wohnung und da sie zu Hause arbeite, störe dies manchmal.

„Das musste ja irgendwann so kommen!“ denke ich. „Leos laute Musik und sein ständiger Lärmpegel ist auch für die Nachbarn unhaltbar geworden!“

Ich entschuldige mich und verspreche, mit meinem Sohn zu reden.

Die Nachbarin schlägt vor, dass ich später mal vorbeikommen und mich von der Lärmbelästigung selbst überzeugen solle. Ich gehe also am Nachmittag hoch und verabrede mit Leo, dass er in verschiedenen Zimmern die Musik laut aufdreht. So können wir sehen, wo es am meisten stört, je nachdem wo die Nachbarin ihren Arbeitsplatz hat.

Als ich später oben bei den Nachbarn klingele, komme ich in eine Wohnung, in der es keinerlei Spuren gibt, dass dort jemand lebt. Alles ist sauber und aufgeräumt, kein Schuh steht im Eingang, kein Glas auf dem Tisch. Es gibt noch etwas, was mich irritiert an dieser Wohnung und ich merke:

Man hört das leise Rauschen der Straße nicht! Die Wohnung ist absolut geräuschfrei! Auf Nachfrage erklären sie mir, sie hätten aus der üblichen 2-fach Verglasung der Fenster eine 3-fach Verglasung gemacht und könnten mir das sehr empfehlen. Ich denke: „Was hilft mir eine 3-fach Verglasung, wenn die Lärmbelästigung mit mir in der Wohnung wohnt?“

Geräuschüberempfindlichkeiten

Sie bitten mich, mich zu Ihnen aufs Sofa zu setzen und ich sage Leo Bescheid, er solle im Wohnzimmer die Musik aufdrehen. Erwartungsvoll schauen mich die Nachbarn an. Ich warte und höre: nichts!

Ob ich die Vibrationen der Bässe im Boden nicht merken würde, fragen sie mich. Ich strenge mich an und merke weiterhin nichts. Ich finde die Wohnung extrem leise, ja ich würde sogar sagen gespenstisch leise! Ich fange an, mich sehr unwohl zu fühlen. So fühlt sich vermutlich mein Sohn, wenn ich ihm sage, er sei zu laut und er überhaupt nichts gehört hat!

Wir probieren alle anderen Räume aus und der einzige Raum, in dem ich ein leises Pochen der Bässe hören kann, ist das Bad.

Dieses kinderlose junge Paar hat definitv eine andere Schmerzgrenze in Sachen Lärmbelästigung als ich. Vielleicht haben die Jahre als Mutter eines Jugendlichen auch bereits mein Gehör geschädigt. Sie erzählen, sie haben früher in einer sehr leisen Wohnung gewohnt und waren geschockt über den vielen Lärm in diesem Gebäude. Leo und ich kommen aus Wohnungen, die viel lauter waren als diese hier und haben uns sehr gefreut bei unseren 2-fach verglasten Fenstern so ruhig wohnen zu können.

Ich versuche, Ihnen entgegenzukommen, indem ich vorschlage, abends mehr darauf zu achten, dass mein Sohn keine laute Musik mehr hört.

Wie bitte, ich?

Am lautesten sei es so gegen 8.00 morgens und nachmittags so um 14.00 sagt die Nachbarin, deren Namen ich schon wieder vergessen habe. „Wie bitte?“ denke ich „Das sind ja genau die Zeiten, in denen Leo in der Schule ist und ich meine Radiosendungen am Computer höre!“

Ich habe den lautesten Rapper aller Zeiten als Sohn, der den ganzen Tag dröhnend Musik hört und abends boxt, dass es nur so kracht und das, was die Nachbarn stört, ist meine Radiomusik?

Am Ende stellt sich heraus, dass es vermutlich damit zu tun hat, dass ich meine Musik direkt unter ihrem Arbeitsplatz höre, und dass Leos Zimmer unter einem Raum liegt, der kaum von den Nachbarn benutzt wird. „Was für ein Glück!“, denke ich, denn diese geräuschempfindlichen Menschen hätten uns, wenn die Räume anders verteilt wären, sicherlich bereits verklagt.

Die Rockerin in mir

Ich höre meine Radiosendungen inzwischen leiser und merke die heimliche Freude meines Sohnes, dass ich die Lärmbelästigung für die Nachbarn bin und nicht er.

Verrückt! Ich versuche jetzt noch respektvoller und leiser gegenüber den Nachbarn zu sein und trotzdem höre ich manchmal mittags meine Musik beim Kochen.  Laut genug, damit bei meinen lautstärkegewohnten Ohren noch ein bisschen guter Sound ankommt. Die Rockerin in mir mag es nämlich auch die Bässe bis in den Bauch zu spüren. Vermutlich habe ich mehr gemeinsam mit meinem Sohn, als ich in dieser aktuellen Lebensphase merke. Und wenn ich mir dieses sterile, geräuscharme Leben über mir so ansehe, habe ich doch lieber so einen lauten Polterer an meiner Seite!

Vermutlich werde ich in ein paar Jahren, wenn Leo ausgezogen ist, vor lauter Sehnsucht überall in der Wohnung Lautsprecher mit lauter Rapmusik anbringen. Wenn ich Glück habe, sind die Nachbarn über mir dann inzwischen ausgezogen, wegen der unhaltbaren Situation, dass unter ihnen eine Mutter morgens um 8.00 beim Frühstück und um 14.00 beim Kochen Radio hört.

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