In letzter Zeit passieren meinem Sohn dauernd irgendwelche verrückten Dinge. Jede Woche gibt es neue Ereignisse und ich bin inzwischen nicht sicher, ob er sie provoziert, oder ob das alles noch Zufall sein kann.
Gestern, als ich ihn in der Schule vermutete, bekam ich plötzlich eine Nachricht, er stecke mit 2 Klassenkamerad/Innen im Fahrstuhl fest, ich solle mir aber bitte keine Sorgen machen. Wenn jemand zu mir sagt: “Mach dir keine Sorgen”, fange ich automatisch an, mir Sorgen zu machen.
Leo ist „schief“ bei den Pfadfindern
Das ist wie früher, als Leo bei den Pfadfindern war. Die Kinder waren in die Berge gereist, mit sehr jungen Gruppenbetreuer/Innen. Normalerweise gab es dann 10 Tage keinerlei Nachricht, denn in den Bergen hatten die jungen Leute, die auf meinen 10-jährigen Sohn aufpassten keinen Empfang.
Eines Tages bekam ich einen Anruf von einer Gruppenleiterin. Sie sagte als erstes: “Leo hatte einen Unfall, aber mach dir keine Sorgen!” Mein Sorgenbarometer ging sofort auf 100! Es stellte sich heraus, dass Leo kopfüber in ein Schwimmbad gesprungen war und sich irgendwie den Hals dabei verrenkt hatte. Es ginge ihm aber ganz gut und er würde dableiben wollen. Nach dem ersten Schrecken, habe ich mich wieder beruhigt und dachte, es geht ihm bestimmt bald wieder prima. Den zweiten Anruf bekam ich nach 3 Tagen, wo mir dieselbe junge Frau mitteilte, mein Sohn sei jetzt nur noch ein bisschen schief und auch darüber soll ich mir bitte keine Sorgen machen. Nur noch ein bisschen schief? Wie schief war er denn wohl vorher? Als er nach 10 Tagen zurückkam hatte er noch Beschwerden, war aber wieder gerade. Manchmal ist es besser als Mutter nicht alles zu wissen.
Schlafen während man im Fahrstuhl feststeckt?
Zurück zum Fahrstuhl, das ist die Geschichte: Wenn die Schüler “angewandte Anatomie” haben, gehen sie in ein der Schule nahes kleines Theater. Das ist im dritten Stock eines Gebäudes und es gibt 2 Fahrstühle. Einer davon funktioniert gut und der andere nicht, das wissen alle. Leo ist mit drei weiteren Jugendlichen in den Fahrstuhl gestiegen, der nicht so gut funktioniert und dieser hat sich erstmal gar nicht bewegt. Sie beschließen, eine muss den Fahrstuhl verlassen, diese Person ist natürlich nicht mein Sohn. 3 Stockwerke Treppen gehen? Das ist ja unmenschlich, geradezu unzumutbar!
Ein Mädchen und zwei Jungs bleiben im Fahrstuhl und dieser fährt los, leider aber nur 2 ½ Stockwerke hoch und dann bleibt er stehen. Immerhin kommen die drei auf die Idee, sich mit dem Lehrer in Verbindung zu setzten, der dann auch einen Reparaturdienst anruft.
Der Fahrstuhl ist klein und die drei warten angespannt auf ihre Rettung. Die lässt auf sich warten und mein Sohn kommt tatsächlich auf die Idee, ein bisschen zu schlafen.
Leo ist mit zwei Jugendlichen im Fahrstuhl eingesperrt und schläft? Ich finde das beeindruckend und verstörend zugleich. Er erzählt mir auch hinterher, dass sie gemeinsam gerappt haben, um die Zeit zu vertreiben. Ach ja und das Mädchen geriet in Panik und hatte das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Ich stelle mir die Szene vor und frage mich: Hat Leo während der Panikattacke des Mädchens geschlafen oder danach? Hat das Mädchen eine Panikattacke bekommen, weil Leo so ruhig war und geschlafen hat? Hatte er vor dem Schlafen zu ihr: „Mach dir keine Sorgen!“, gesagt?
Der Fahrstuhltechniker wird mit afrikanischem Akzent begrüßt…
Insgesamt waren die 3 Jugendlichen fast 2 Stunden im kleinen Fahrstuhl eingesperrt, bis der Fahrstuhltechniker kam und sie befreite. Leo hat mir hinterher erzählt, er hätte mit diesem Mann mit afrikanischem Akzent gesprochen und alle drei hatten viel Spaß dabei gehabt. „Was ist das für eine absurde Idee?“ Frage ich Leo.
„Wenn der uns so lange warten lässt, muss er sich auch nicht wundern, dass wir ihn so verarschen!“, ist die Antwort von meinem Sohn.
Mmmh, das ist wohl die Logik eines 16-jährigen. Ich stelle mir einen Fahrstuhltechniker vor, der vielleicht gerade irgendwo 3 kleine Kinder und eine hochschwangere Frau aus einem steckengebliebenen Fahrstuhl geholt hat. Dann ist er mit Hochgeschwindigkeit zu einem brennenden Haus gefahren und hat dort eine 5-köpfige Familie mit Haustier aus dem Fahrstuhl befreit, um schließlich völlig entkräftet in dem Gebäude anzukommen, wo 3 Jugendliche im Fahrstuhl feststecken.
Von Weitem hört er, lautes Rappen und eine Mädchenstimme, die „ich kriege keine Luft mehr!“ ruft. Unter Einsatz seines Lebens öffnet er die Fahrstuhltür und ein verschlafen aussehender Jugendlicher spricht ihn mit afrikanischem Akzent an, während die beiden anderen in sich hinein prusten vor Lachen. Ach ja, ich vergaß zu erzählen, dass daneben noch der Lehrer stand, der auf die 3 Schüler gewartet hatte. Dieser war vermutlich auch irritiert über die plötzliche sprachliche Metamorphose meines Sohnes. Vielleicht hat sich der Fahrstuhltechniker auch gar nicht gewundert über die skurrile Situation. Ich stelle mir vor, dass Fahrstuhltechniker oft interessante Situationen vorfinden, nachdem manchmal wildfremde Menschen über Stunden in einem Fahrstuhl feststecken. Gibt es Paare, die sich in so einer Situation kennenlernen?
Aus Erfahrung lernen? Nee!
Leo hat das ganze gut überstanden. Ob er wieder in einen kaputten Fahrstuhl steigt? Ich denke auf jeden Fall!
Ich war selber auch schon zweimal im Fahrstuhl eingesperrt. Einmal alleine in meiner ersten Wohnung in Barcelona, wo wir im 5. Stock wohnten und der Fahrstuhl so ein ganz alter kleiner aus Holz war. Manchmal blieb er zwischen zwei Stockwerken stehen und rumpelte ein paar Meter hoch und wieder runter. Wenn er sich dann ausgerumpelt hatte, lief er normal weiter. Für mich als 26-jährige war dies ebenfalls kein Grund, diesen Fahrstuhl nicht zu nehmen, was ich im Nachhinein selbst verrückt finde.
Einmal hatte er wieder gerumpelt und blieb dann einfach stehen. Ich war ziemlich weit oben und ehrlich gesagt, hatte ich Angst, die alten Seile reißen und der schöne alte Fahrstuhl kracht in die Tiefe. In einem Bondfilm hatte ich gesehen, dass man in dem Fall am besten mit den Armen gegen die Außenwände drückte und die Beine in der Luft hielt. Das versuchte ich dann also, es war aber gar nicht so einfach, wie es im Film aussah, vor allem wegen meiner fehlender Bauchmuskulatur! Damals hatte ich auch kein Handy, sondern rief einfach aus dem Fahrstuhl bis mich ein Nachbar hörte. Irgendwann wurde ich da rausgeholt und ich glaube, am nächsten Tag nahm ich den Fahrstuhl wieder.
Niemand machte sich Sorgen um mich in dieser Zeit, vermutlich hatte ich es auch niemandem erzählt, außer meinem Mitbewohner, der ebenfalls weiterhin den Fahrstuhl benutzte. Immerhin wohnten wir im 5. Stock.
Das zweite Mal war ich mit zwei Freundinnen und unseren insgesamt 3 kleinen Kindern in einem Fahrstuhl stecken geblieben. Egal welche Knöpfe wir drückten, der Fahrstuhl bewegte sich keinen Zentimeter. Es war Hochsommer und gefühlt 40 Grad in dem Fahrstuhl. Da habe ich ebenfalls: „Macht euch keine Sorgen!“, gesagt und alle hatten Angst. Lustigerweise konnte ich einfach die Türen mit der Hand aufschieben, denn wir waren noch gar nicht losgefahren. Die Kinder hielten mich kurzzeitig für eine Art Heldin, was aber sehr schnell wieder vorbei war.
Mach dir keine Sorgen, Mama!
Wenn mein Sohn Leo mich heute anruft und als erstes: „Mach dir keine Sorgen, Mama!“, sagt, weiß ich, es ist vermutlich angebracht, mir direkt viele Sorgen zu machen. Einmal zum Beispiel, als ich nachts um die vereinbarte Zeit noch auf Leo wartete und er mir aus der Metro nicht mehr ganz nüchtern per Handy erklärte:
„Wir sind aus Versehen mit der Metro in die andere Richtung gefahren und jetzt am anderen Ende Barcelonas. Es fährt keine Metro mehr und wir haben auch kein Geld. Wir schlafen dann vielleicht irgendwo. Mein Handyakku ist gleich alle, aber mach dir keine Sorgen, Mama!“
Im Hintergrund höre ich lautes Grölen vieler Menschen, der Handykontakt bricht ab. Na ein Glück, dass er gesagt hat, ich solle mir keine Sorgen machen.
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