Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Kolumne: Morgens siehst du aus wie ein toter Clown!

Jugendliche Vatermörderinnen und sterbensgelangweilte Söhne

„Tod durch allergischen Schock beim Müsliessen, Tod durch Zerquetschtwerden von einem Nilpferd“ das alles geht mir auch nach der Aufführung nicht aus dem Kopf…

Mein Sohn ist in einer Theatergruppe und nach langer Durststrecke wird es eine Aufführung in einem kleinen Theater Barcelonas geben. Alle jugendlichen Schauspieler spielen mit Maske, verrückt! Ein Jahr, in dem die meisten Proben online stattfinden mit kleinen Rollenspielen und Improsituationen auf dem Bildschirm. Wie schön, heute wieder in ein echtes Theater gehen zu können!

Von den Jugendlichen ausgedacht: alles rund um den Tod!

Leo teilt mir mit, diesmal lieber nicht den Freunden Bescheid zu sagen, denn die Aufführung sei nicht so besonders. Dann ist es so weit: Die junge Schauspielerin, die die Gruppe leitet, spricht ein paar Worte zum Publikum. Sie sagt, die Jugendlichen hätten sich das Stück selber ausgedacht und nur sehr wenig proben können, wegen der besonderen Covidbedingungen.

Ich bin sehr gespannt auf das, was uns erwartet.

Der Vorhang geht auf und da steht mein großer Sohn inmitten der anderen Jugendlichen, alle in schwarz gekleidet.

Eine Mundharmonika spielt und irgendwie wird schnell klar, es geht um das Thema Tod. Die Schauspieler stehen in einer Reihe nebeneinander und sagen, woran man sterben kann:

Tod durch Sprung aus dem Fenster, Tod durch Fischgräten verschlucken, Tod durch zu viel Reggaeton hören…

Oh, aus Versehen den Vater ermordet!

Dann beginnt die Story:

Mein Sohn spielt in dem Stück einen homosexuellen jungen Mann, der mit einem sehr alten Mann liiert ist. Die Töchter des alten Mannes glauben, dass der junge nur mit ihrem Vater zusammen ist, weil dieser reich ist. Um den jungen Mann zu testen, wollen sie den Tod ihres Vaters vortäuschen und dann zusehen wie dieser reagiert. Eigentlich sollte der Vater ohne sein Wissen eine Substanz ins Essen gemischt bekommen, die ihn nur kurzzeitig außer Gefecht setzt, damit es so scheint, als sei er tot. Leider haben sich die Töchter aber in der Dosierung vertan und kurzerhand aus Versehen den Vater wirklich umgebracht.

Der junge Partner gespielt von Leo ist außer sich vor Trauer und fängt an, zum Trost Liegestütze und Sportübungen zu machen. Die Töchter wiederum sind erstaunt über die Trauer des jungen Mannes und wissen jetzt: „Aha, die Liebe war echt!“

Sie selber trauern irgendwie gar nicht um den aus Versehen ermordeten Vater. Ach ja, dann gibt es noch eine alte Tante, Schwester des Verstorbenen, die dauernd: „gebt mir Alkohol“ sagt.

Gibt es Empathie bei Jugendlichen?

Ein sehr kurzweiliges Stück mit überraschenden Wendungen. Ich habe noch eine Weile darüber nachgedacht, was an diesem kuriosen Theater so besonders ist. Ich glaube es ist die Tatsache, dass kaum Empathie darin vorkommt. Töchter ermorden ihre Väter und bleiben gelassen dabei, auch die Schwester ist überhaupt nicht berührt, dass ihr Bruder soeben bei einem Teller Suppe überraschend „den Löffel abgibt“.

Nur der sportbesessene junge Mann macht heulend und schluchzend seine Liegestütze, immerhin!

Selbst das Theater wird genutzt um die eigene Mutter zu dissen!

Dann die Schlussszene: Wieder stehen die Schauspieler in einer Reihe und philosophieren über den Tod.

Antonia, die Vatermörderin sagt: „Das Sterben macht dir bewusst, dass das Leben nicht unendlich lang ist.“

Da dreht sich mein Sohn zu ihr und antwortet: „Unendlich lang sind die Whatsappaudios meiner Mutter und sterbenslangweilig!“

Ein Lacher geht durchs Publikum und auch ich bin belustigt. Mein Jugendlicher Sohn schafft es sogar bei einer Theatervorstellung, einen Pfeil in Richtung seiner Mutter zu schießen! Neben mir sitzt Eduard, der Vater von Antonia, die gerade aus Versehen ihren Vater ermordet hat. Wir schauen uns verständnisvoll und mitfühlend an.

Es stimmt, dass ich gerne Whatsappnachrichten sende, manche könnten auch als Podcast durchgehen und sind definitiv zu lang! Die Nachrichten, die ich an meinen Sohn sende, empfinde ich selber meist als kurz und präzise, aber wie ich gerade bestätigt bekomme, sieht mein Sohn das anders.

Reuelose Vatermörderinnen und sterbenslangweilige Whatsappnachrichten ertragende Söhne…„

Ist doch bloß Theater!“ Sagt mein Sohn hinterher, womit er natürlich Recht hat.

Tatsächlich ist das Empathie-empfinden im Jugendlichenalter nur sehr reduziert ausgeprägt, denn die ganze Welt dreht sich um den eigenen Kosmos.

Auch das Puppentheater war Früher manchmal nicht so spannend…

Auch als kleiner Junge hatte Leo bereits eine Vorstellung davon, wann etwas langweilig wurde. Gerade habe ich einen Video zu diesem Thema wiederentdeckt:

Wir hatten damals ein Puppentheater und ich habe Leo etwas vorgespielt, was er mit der kleinen Kamera gefilmt hat. Weil er gerade einmal 4 Jahre alt war, filmte er manchmal das Theater, manchmal die Zimmerdecke und auch mal seine Füße.

Die Geschichte handelte von einem Streifenhörnchen, das Angst vor einem kleinen Bären hatte. Dieser wollte aber nur mit ihm spielen und am Ende werden sie Freunde. Ich gebe zu, nicht gerade der spannendste Plot, aber ich schlief damals wenig und bei der kurzen Aufmerksamkeitsspanne meines Sohnes, musste das reichen. Das lustigste an dem Video sind die Kommentare Leos. Als ich ins Publikum fragte, wer denn heute alles da sei, rief er laut: „Jan, 10 Jahre alt!“ Er hatte schon immer einen Sinn fürs Absurde…

Als der kleine Bär, den ich mit tiefer Stimme spiele, auf die Bühne kam, rief mein Sohn: „Nee Mama, das ist doch ein kleiner Bär!“ Also musste der Bär nochmal reinkommen, diesmal mit der hohen Stimme eines kleinen sprechenden Bären.

Nachdem das Streifenhörnchen nach anfänglicher Angst und dem Zurufen meines Sohnes: „du kannst ruhig mit dem Bären spielen, der ist ja noch klein!“ dann mit dem Bärenkind zusammen auf Bäume kletterte und Honig suchte, hörte man die Stimme meines Sohnes aus dem Off:

„Mama, das reicht jetzt, das ist so langweilig!“ Kurzes Einblenden seiner Füße und Cut.

  1. Maite

    Es ist toll ,wie Du mit Deinem Sohn umgehst, ihm die Freiheit lässt sich zu entwickeln, eine Persönlichkeit zu entfalten und mit viel Verständnis auf manche nicht gerade schmeichelhafte Äußerungen zu reagieren. Du hast wieder Mal sehr unterhaltsame Geschichten erzählt.

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