Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Kolumne: Morgens siehst du aus wie ein toter Clown!

Ich sehe was, was du nicht siehst!

Kennt ihr das Gefühl, etwas zu entdecken, von dem ihr noch im selben Moment wisst, ihr hättet es lieber gar nicht gesehen? Ich komme gerade aus der Keramikwerkstatt, voller Staub und glücklich, nach einem langen Tag wieder zu Hause zu sein. Es ist spät und ich habe großen Hunger, setze mich aber erstmal einen Moment aufs Sofa.

Mein Blick fällt auf etwas Kleines auf dem Boden. Ich kann es erst nicht einordnen, aber dann wird mir schlagartig klar: Es ist etwas, was mir nicht gehört und was ich nicht gerne im Zusammenhang mit meinem Sohn finden möchte. Es ist ein ganz kleines Tütchen mit etwas unappetitlich Braunem darin. Mein Herz schlägt schneller und ich möchte die Szene zurückspulen und nichts damit zu tun haben.

Wem gehört das Fundobjekt?

Ich atme ein paar Mal tief ein und aus und mache mir erstmal was zu Essen. Leo hat an diesem Mittag mit einem Freund, den ich auch gut kenne bei uns gekocht und gegessen. Es gab also immer noch die Möglichkeit, dass das kleine hässliche Ding dem Freund gehörte und Leo gar nichts davon wusste, oder vielleicht noch nie in seinem 16-jährigen Leben damit in Berührung gekommen war. Mein Mutterinstinkt ordnet diese Möglichkeit noch im selben Moment als ausgeschlossen ein.

Da ich selber abends noch Programm habe und Leo nachmittags unterwegs sein wird, sehen wir uns erst am nächsten Tag beim Frühstück. Wichtige Dinge sollten in Ruhe besprochen werden, finde ich. Ich hatte inzwischen Zeit, mit Freunden darüber zu reden und bin emotional etwas ruhiger als am Vortag.

Beim Frühstück frage ich meinen Sohn, ob er und sein Freund etwas verloren hätten?

  • Nö. Was denn?

Fragt er und ich sehe seinem Gesicht an, dass er genau weiß, was ich meine.

Ich erkläre ihm, was ich gefunden habe und auf meine Frage, wem das Fundobjekt gehöre, antwortet mein Sohn ganz schnell:

  • Das gehört mir!

Etwas zu schnell geantwortet finde ich. Ich fange an, ihm von meinem Schrecken und meiner Sorge zu erzählen und dass ich einen Unterschied finde, etwas mal mit Freunden zu probieren, als selber etwas zu haben. Das hieße ja, Kontakt mit was weiß ich wem, der das verkauft zu haben und wirklich regelmäßig zu rauchen. Ich sehe meinen Sohn mit zwielichtigen Dealern in langen Trenchcoats an nebeligen Ecken stehen. An diesem Bild wird wieder einmal deutlich, dass ich ziemlich alt bin…

Als Leo merkt, wie alarmiert ich bin, greift er ein:

  • „Es gehört gar nicht mir, es gehört Juan, dem ist es gestern, als wir hier waren aus der Tasche gefallen!“
  • „Wem gehört es denn nun wirklich und warum lügst du mich an?“

Alle haben es schon mal probiert!

Schnell wird klar, Leo will seinen Freund, dessen Mutter ich seit Jahren kenne, schützen. Nach weiterem Nachfragen sagt er, dass in seinem Freundeskreis sehr viele regelmäßig kiffen und er es auch ein paar mal probiert habe. Wie oft muss man etwas probieren, bis man es kennt? Ab dem dritten Probieren ist es in meinen Augen kein Probieren mehr.

  • „Ich kenne keinen 16-jährigen in meinem Umfeld, der oder die noch nicht probiert hat zu kiffen,“ sagt Leo, um mich zu beruhigen.

Vermutlich stimmt das, wirklich beruhigen tut es mich nicht. Ich selber habe auch in diesem Alter zum ersten Mal mitgeraucht bei Freunden. Da bei uns in der Familie niemand rauchte, hatte ich allerdings immer eine gewisse Grundabneigung gegen das Rauchen und fing sofort an zu husten. Daraufhin habe ich meist nur so getan, als würde ich mitrauchen. Hätte ich in diesem Alter vor der Entscheidung gestanden einen Joint zu rauchen oder eine Tafel Schokolade zu essen, wäre meine Entscheidung auf jeden Fall auf die Schokolade gefallen.

  • „Bitte sag Juans Mutter nichts, sie sperrt ihn dann bestimmt 3 Monate zu Hause ein!“

Jetzt hatte ich also nicht nur ein Problem mit meinem Sohn, sondern auch noch die Verantwortung, die andere Mutter zu informieren oder nicht.

Muttersorgen

Ich weiß, dass alle Verbote bei meinem Sohn nur Trotzreaktionen hervorrufen und im Grunde finde ich auch, dass Hausarrest keine Lösung ist. Mich beunruhigt auch eher die möglichen psychischen Nebenwirkungen, wenn ein junger Mensch Marihuana oder Haschisch raucht. Eine meiner Sorgen ist die Gefahr psychotisch zu werden und dabei völlig den Boden unter den Füßen zu verlieren. Oder bei regelmäßigem Konsumieren motivationslos durch den Tag zu schlendern und in dieser Parallelwelt hängen zu bleiben.

Wir gehen Möglichkeiten der Beratung durch und Leo schlägt vor, dass er zu einer neutralen Beratungsstelle geht. Ich weiß, er hat bisher wirklich nur probiert, aber ich glaube der Übergang zum regelmäßigen Kiffen ist fließend. Er steht jetzt vor einem Weg, wo er sich noch selber entscheiden kann, in welche Richtung er gehen will mit diesem Thema. In seinem Alter habe ich auch mit Verboten keinen Einfluss darauf, was er mit seinen Freunden macht. Information und die Idee für Eigenverantwortung kann vielleicht helfen, hoffe ich.

Wir machen einen Termin aus bei einer Drogenberatungsstelle, wo beim ersten Treffen die Eltern dabei sein sollen. Die Eltern das bin in diesem Fall ich.

Bei Leos Freund habe ich vorgeschlagen, dass er selber seiner Mutter erzählt, dass er raucht und ich mich aus dem Ganzen raushalte. Am besten direkt mit einem Termin bei einer Beratungsstelle, das kommt bei Müttern meist gut an. Vielleicht werden so aus 3 Monaten Hausarrest nur 2 für Juan.

Der Beratungstermin

Heute haben wir den Termin, und auf dem Weg dorthin kommentiert Leo:

  • „Was soll das denn bringen, ich weiß eh schon alles darüber, ich gehe da nur wegen dir hin.“
  • „Aber es war doch dein Vorschlag,“

entgegne ich und merke im weiteren Gespräch, dass er diesen Termin einfach als geringeres Übel gegenüber anderen Alternativen, die ich mir einfallen lassen könnte, sieht.

Eine junge Psychologin empfängt uns freundlich beide zusammen und dann später einzeln. Ich fühle mich, wie wenn ich zum Arzt gehe: plötzlich denke ich, ich hätte doch eigentlich gar nichts. Sie fragt nach Leos Interessen, nach der Schule und seinen Freunden. Ich merke, es klingt alles so gut bei ihm, dass sie sich vielleicht wundert, was wir eigentlich da wollen. Als ich alleine mit ihr rede, erzähle ich ihr von meinen Sorgen, dass das Rauchen für Leo so attraktiv werden könnte, dass dadurch alle anderen Dinge (Schule und Hobbys) unwichtig werden. Sie entgegnet mir, es könnte auch umgekehrt sein: Dass Leos Interessen ihn so motivieren, dass das Rauchen nie wirklich wichtig wird. Ich finde das eine sehr schöne Sichtweise und freue mich darüber, dass er diese vielen Interessen hat.

Alles in allem, ist es für uns beide interessant, mit ihr zu reden. Dann macht sie einen zweiten Termin mit Leo alleine aus und sagt uns, das sei das übliche Format dieser Beratungsstelle. Er lässt sich erstaunlicherweise darauf ein und als ich ihn erstaunt darauf anspreche, sagt er, er wollte nicht unfreundlich zu der Psychologin sein.

Kleine Steine und große Felsen

Die Beratung liegt hinter uns und ich weiß inzwischen, dass ein Fokus darauf lag, auch in einer Gruppe immer wieder selber zu entscheiden, was du willst oder nicht willst. Und zu schauen, wie viele andere wichtige Dinge es im Leben gerade gibt. Ich glaube, da gibt es ziemlich viele. Was für ein Luxus, mit Leo zu einer Drogenberatungsstelle gehen zu können, ohne dass er in einer körperlichen oder psychischen Abhängigkeit zu irgendeiner Substanz steht.

Ich möchte mit dieser Geschichte dazu anregen, Beratungsangebote zu nutzen, denn letztendlich liegt es jetzt in der Hand meines Sohnes, welche Entscheidungen er für sein Leben trifft. Ich bin auch ein bisschen stolz auf ihn, dass er sich auf diese Gespräche eingelassen hat. Vermutlich ist es besser, mit einer neutralen Person, die sich mit dem Thema auskennt zu reden, als mit der besorgten Mutter.

Vielleicht habe ich mit diesem Termin ein ganz kleines Steinchen ins Rollen gebracht. Den großen Felsbrocken rollt mein Sohn dann alleine weiter, mal holprig, bergauf und anstrengend für ihn und mal mit großem Schwung und rasanter Geschwindigkeit den Berg hinunter. Wie ich ihn kenne, liegt er auch manchmal sehr lange oben auf dem Felsen in der Sonne, ruht sich aus und genießt die Aussicht.

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