Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Kolumne: Morgens siehst du aus wie ein toter Clown!

Hose unterm Po

 „Wenn du dich anziehst wie ein Krimineller, dann wunder dich nicht, dass du von der Polizei angehalten wirst!“. Das sagte vor kurzem ein Polizist zu meinem Sohn, als dieser das 3. Mal in einer Nacht routinemäßig angehalten wurde. „What?“ denke ich (eigentlich denke ich nicht auf Englisch), ein Polizist sagt meinem jugendlichen Sohn, wie er sich zu kleiden hat?

Wut steigt in mir auf und ich muss mir überlegen, wohin damit. Immerhin hat Leo es mir erzählt. Im weiteren Gespräch wird deutlich, er will keine Einmischung von mir, keine Beschwerde bei der Polizei von meiner Seite. Ich werde das respektieren.

Der Hose-hoch Impuls einer Mutter

An diesem Tag trug mein Sohn eine zerrissene Jeans, diese Art Hose, die man sich heutzutage kaputt kauft, was ich noch nie wirklich verstanden habe. Als ich jung war, haben wir die Hosen so lange getragen, bis sie ähnlich aussahen, aber wir haben sie selber kaputtgemacht. Ist den Jugendlichen von heute nicht einmal zuzumuten, eine Hose selber kaputtzumachen? Egal, ich bin aus Sicht meines Sohnes eine ziemlich alte Person und habe keine Ahnung von der Mode seiner Generation, also versuche ich mich herauszuhalten.

Die kaputte Hose trägt mein Sohn unter dem Po. Immer, wenn er zu Hause an mir vorbeigeht, bin ich in der Versuchung von hinten an die Gürtelschnalle zu fassen, um die Hose hochzuziehen. Ja, ich gebe zu, es ist auch ein paarmal vorgekommen, dass ich es gemacht habe, was zu mittleren Wutausbrüchen Leos geführt hat. Ich verstehe das, denn es ist tatsächlich völlig unangemessen und übergriffig von mir. ICH KANN ES ABER MANCHMAL EINFACH NICHT KONTROLLIEREN!

Diese Hose ruft: „Zieh mich hoch!“

Rapperstyle

Ansonsten trägt Leo Sportkleidung, am liebsten Markenklamotten, die er sich größtenteils von seinem eigenen Geld kauft. Dazu trägt er Ohrringe, eine Goldkette und coole Sneakers. Manchmal auch ein Käppi, diese Baseballkäppis, die von sehr vielen Jugendlichen getragen werden. Er mag Rap und Trapmusik und kleidet sich in diesem Style, würde ich sagen. Vermutlich würde er jetzt mit den Augen rollen und sagen: „Das stimmt gar nicht, Mama, du bist so peinlich.“ Was soll’s, es liegen Generationen zwischen uns und vermutlich verstehe ich nicht alles, damit kann ich leben.

Bisher hat mein Sohn keine Tattoos, was vermutlich hauptsächlich daran liegt, dass ich ihn immer wieder bitte, bis zum 18. Geburtstag zu warten. In den seltensten Fällen magst du mit 30 Jahren ein Tattoo, was du mit 14 Jahren gestochen hast. Leo findet das nervig, akzeptiert es aber. Vermutlich wird er seinen 18. Geburtstag in einem Tattoostudio feiern und sich alles, was er von 13 bis 18 tätowieren wollte, auf seinem Körper verewigen.

Racial Profiling

Leo ist fast 2 m groß und hat einen mosambikanischen Papa, also zur Hälfte afrikanische Wurzeln. Ich vermute und befürchte, das ist der Grund, warum die Polizei ihn immer wieder krimineller Aktivitäten verdächtigt. Seine dunkle Hautfarbe, vielleicht auch seine Körpergröße. Wenn kaputte Jeans unter dem Po, Sportkleidung und ein Goldkettchen einen potenziell Kriminellen entlarven, sind vermutlich 60 % aller Jugendlichen kriminell verdächtig. Ich bin nicht nur wütend, weil er wieder einmal an rassistische Polizisten geraten ist, ich bin auch als Mutter empört. Wenn ich es schaffe, obwohl es mir nicht leicht fällt, meinem Sohn nicht mehr von hinten die Hose hochzuziehen, dann haben Sie, lieber Herr Polizist, sich da überhaupt nicht einzumischen!

Als er 15 war, habe ich das eine oder andere Mal einen Vorschlag gemacht, um auf seine Kleidungswahl einzuwirken. Wenn Leo bei einem Restaurantbesuch oder einem Familienfest seine Adiletten mit Socken anziehen wollte, zum Beispiel. Adiletten, das sind aus der Sicht meiner Generation Badelatschen. Viele Jugendliche finden das hip und fühlen sich komplett gut gekleidet.

Inzwischen ist Leo 17 und ich finde, er kann sich anziehen, wie er will und ich muss damit klarkommen. Manchmal schaue ich ihm mit einem kleinen Seufzer hinterher, ganz selten versuche ich es mit einem Kommentar:

„Leo, meinst du nicht, du solltest zu dem Fest andere Schuhe anziehen?“

„Nö.“ Ist dann die Antwort und die Haustür fällt ins Schloss.

So gehst du mir nicht aus dem Haus!

Ich war mit 15 Jahren große Sympathisantin der Hippiebewegung. Lange Wuschelhaare und weite Klamotten waren mein Style und auf keinen Fall auch nur eine Markenklamotte. Ich hatte einen alten Mantel, den ich selber gebatikt hatte und der so schlecht gefärbt war, dass er einfach nur schmuddelig aussah. Das fand ich toll und ich höre heute noch den Satz meiner Mutter: „So gehst du mir nicht aus dem Haus!“ Viele Diskussionen später schaffte ich es trotzdem, den Mantel anzuziehen. Was verboten war, nahm ich in meiner Jutetasche mit und zog es an, wenn ich um die Ecke war.

Bald schon sahen meine Eltern ein, dass es wenig Sinn hatte, mir Klamotten zu verbieten und so lief ich weiter herum, als würde ich auf der Straße leben. Gestrickte Socken in Birkenstocksandalen gehörten auch zu meinem Outfit und wenn ich heute Fotos davon sehe, denke ich, es wäre besser gewesen, mir das zu verbieten. Nein, auch für mich war damals sehr wichtig, mit meiner Kleidung eine Haltung auszudrücken. Eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe und gleichzeitig die Ablehnung der gesellschaftlichen Norm zu zeigen.

Über die Freiheit, sich der Welt zu zeigen, wie man will

Ich glaube, die Klamotten und der Style eines oder einer Jugendlichen sind immer Ausdruck einer Haltung oder der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Manchmal wird auch die Individualität und die Ablehnung der Gesellschaft damit signalisiert. Was auch immer dahintersteht, finde ich es unglaublich wichtig, dass dieser Ausdruck möglich ist. Das Ganze, wenn möglich ohne andere zu gefährden, denn wenn ein Jugendlicher es schick findet sich Handgranaten an den Gürtel zu hängen, würde ich als Mutter ebenfalls sagen: „So gehst du mir nicht aus dem Haus!“ Hier würde ich auch die Polizei bitten, einzuschreiten. Ich versuche mich ansonsten rauszuhalten.

Als mein Sohn Leo beim nächtlichen Ausgehen von der Polizei kontrolliert wurde, wurde sein Polizeiregister per Funk gecheckt. Als sie gesehen haben, dass er nicht vorbestraft ist, haben sie es nicht geglaubt und die Reihenfolge seiner zwei Nachnamen geändert. Wie schlimm muss es für Leo sein, immer wieder als potenziell gefährlich zu gelten, ohne irgendetwas gemacht zu haben? „Wunder dich nicht, dass wir dich kontrollieren, so wie du rumläufst!“ Mir kommen die Kommentare zu Mädchen in den Sinn, die sich „zu sexy“ kleiden und sich dann nicht wundern sollen, dass Männer übergriffig werden. Sind wir wirklich noch an diesem Punkt, wie traurig ist das denn?

Wenn bei all diesen polizeilichen Unterstellungen, denen mein Sohn ausgesetzt ist, als sein kleiner Protest nur die Hose unter dem Po landet, kann ich mich freuen. „Ihr könnt mich mal!“ Ist die Botschaft, die ich da sehe und vermutlich würde Leo dies wieder mit „Oh Mama, du bist so peinlich!“ kommentieren

Mutige Frauen im Iran

Bei diesem Thema denke ich an die Menschen im Iran. Besonders an die mutigen Frauen, die es satthaben, sich durch Kleidungsvorschriften unterdrücken zu lassen. Die ihr Leben bei diesem Kampf um grundlegende Menschenrechte aufs Spiel setzten.

Hier bei uns geht es nicht um Leben und Tod, aber auch darum, dass Machtstrukturen ausgenutzt werden. Ich hoffe, irgendwann kommen wir dahin, dass jeder und jede sich so kleiden kann wie er oder sie will.

Auf dem Weg dahin ist meine Aufgabe weiterhin meinen Impuls, Leo von Hinten die Hose über den Po zu ziehen zu beherrschen. Wenn ich ihn eines Tages völlig grundlos von der Polizeiwache abholen muss, werde ich vielleicht selber eine dieser Hosen tragen!

  1. Fritzchen

    ich bin geschockt über die Art wie die Polizisten mit den Jugendlichen umgehen.
    Liebe Steffi, wenn Dein Sohn immer noch Respekt vor diesen Ordnungshütern hat,
    muß ich Ihn bewundern. Ich habe keinen Respekt vor diesen Menschen.
    Vorbilder sind sie nicht.

  2. Carlos

    Du hast wieder mal eine interessante Geschiche erzählt.

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