Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Pfeilsenderstories

Hommage an Barcelona

Meine leise Stadtmusik

Die Sonne scheint. Möwen fliegen an meinem Fenster vorbei. Ich schaue auf die Silhouette meiner Wahlheimat Barcelona. Baustellengeräusche im Hintergrund dazu Krankenwagensirenen, meine leise Stadtmusik. Das Fenster zur Welt, leider momentan durch ein blaues Netz abgehängt. Ich sehe die Stadt durch 330 kleine Quadrate.

Aufbruchsstimmung zur Zeit der Olympische Spiele in Barcelona

Vor mehr als 20 Jahren bin ich mit nur einem Rucksack in dieser Stadt gelandet, wollte hier eine Zeit verbringen nach dem Studium, dem ersten Arbeiten. Vielleicht ein paar Monate, so lange mein Geld reicht. Das Geld reichte nie, aber ich bin immer noch hier, also war es vermutlich doch genug.

Ich habe Barcelona in den 90er Jahren kurz nach den olympischen Spielen kennen und lieben gelernt. Leider habe ich die Olympiade nicht selber miterlebt, aber viel gehört davon. Tausende von Freiwilligen machten diese olympischen Spiele möglich und ich erwähne das, weil es etwas Typisches für diese Stadt und ihre Kultur ist. Der Sinn für die Gemeinschaft der Katalanen ist besonders, wie ich finde. Alles war im Aufbruch. Der Strand wurde zur Stadt hin geöffnet, überall wurde gebaut und alles blühte auf. Restaurants und Cafés an jeder Straßenecke, Museen und Ausstellungsräume boomten. 20 Jahre nach der Francodiktatur wurde Barcelona wieder zu dem, was es auch früher bereits war: eine Hochburg des kreativen Lebens in allen Bereichen!

Bist du Grafik Designer oder arbeitest du?

Der Grafikdesigner Javier Mariscal hatte das Maskottchen der olympischen Spiele designt und plötzlich wimmelte die Stadt vor Grafikdesignern. Unter jungen Leuten fragte man nicht: „Bist du Student oder arbeitest du?“ Sondern „Bist du Grafik Designer oder arbeitest du?“

Alle waren Künstler und ich als gute Deutsche nach meinem Beruf gefragt, sagte brav: „Landschaftsplanerin“. Das, was ich studiert hatte und das, womit ich mir mein Geld verdiente. Auf Partys traf ich nur Autoren, freie Künstler, Illustratoren, Schauspieler, Architekten, Musiker, Performancekünstler und wie gesagt die Grafikdesigner. Später fiel mir auf, dass so mancher Künstler und Autor eigentlich bei der Post angestellt war oder in der Familienapotheke aushalf. Das löste erst mal bei mir eine Art von Empörung aus, „aha“ dachte ich, „also doch kein richtiger Grafikdesigner, er lebt noch bei seinen Eltern und verkauft an deren Marktstand!“

Ich habe ein bisschen gebraucht, um dieses so wenig nordeuropäische Modell zu verstehen. Vielleicht bin ich auch selber mit den Jahren weniger nordeuropäisch geworden, was immer das heißen mag.

In meinen jungen Jahren hier haben meine Freunde sich mit dem vorgestellt, was ihre Lebensleidenschaft war. Ein Hobby hätte ich damals gesagt, das was man in der Freizeit macht. Etwas abwertend, denn „das eigentlich Wichtige“ ist das, womit man sein Geld verdient. Warum eigentlich? Inzwischen habe ich viel Respekt vor Menschen, die es schaffen, sich mit dem vorzustellen, was ihre absolute Lebensleidenschaft ist, egal, ob sie je damit Geld verdienen werden.

So wurde auch ich, in den kreativen Sog Barcelonas geraten, zu einer Kinderbuchillustratorin später auch Autorin, allerdings nicht nur als Hobby ;-). 

Dachterassen und geheime Bars Ende der 90er Jahre in Barcelona

Wie schön war das Barcelona der 90er Jahre, die Dachterrassen und  die geheimen Bars, wo die verrücktesten Partys stattfanden. Nachts baden mit Freunden an einem menschenleeren Strand direkt an der Stadtpromenade. Die kleinen Tapasbars in der Barceloneta mit Neonbeleuchtung, wo es die besten frischen Sardinen gab mit einem Glas kühlem Weißwein dazu. Kleine Tische, die immer ein bisschen klebrig waren von dem vielen frittierten Fisch, ein Geruch nach frittiertem Öl und Rauch, damals war sogar das noch möglich. Ich rauche nicht und ich bin ehrlich gesagt froh, dass inzwischen überall das Rauchen verboten ist, aber in meiner Erinnerung ist sogar dieser Geruch schön.

Auf der Straße neben den Müllkontainern konnte man an manchen Tagen unglaubliche Möbel und alte Spiegel finden, die dann direkt bei mir in der Wohngemeinschaft landeten. Oder auf der Gemeinschaftsdachterrasse, die ich komplett mit alten Sesseln und Tischen ausstattete, die ich dann, nachdem ich von der Hausverwaltung Ärger bekam, wieder unten auf die Straße stellte.

Dachterrassenfeste mit Manu Chao’s song „Clandestino“ in Endlosschleife auf unserem CD Player. Spanier, Italiener, Südamerikaner, Deutsche und Franzosen feierten zusammen. Jeder konnte irgendwen mitbringen, bis der Nachbar kam. Da stand er vor mir im Morgenmantel, ein müder Familienvater, der uns bat die Musik leiser zu machen. Der gute Mann hat in all den Jahren nie die Polizei gerufen. Danke nochmal, dafür!

Das „Centro Asturiano“ und die langen Abschiede der Katalanen

Ein Treff meiner Freunde und mir war im „Centro Asturiano“ im Paseo de Gracia. Eine Dachterrasse  in einem Hinterhaus, die man nur fand, wenn man bereits wusste, welche die richtige Klingel war.

Auf einer blau gekachelten Terrasse, die mich immer an ein Dorfschwimmbad erinnerte, standen kleine weiße Tische und die typischen weißen Plastikstühle. In einem Nebenraum spielten ältere asturianische Herren Karten und asturianische Kellner gossen den „Sidra“ mit ausgestrecktem Arm ungefähr einen Meter über dem Glas ein. Dadurch entwickelte sich das besondere Aroma des Getränks, dazu gab es „Cabrales“ einen sehr aromatischen Käse in Höhlen gereift oder „Chorizo a la Sidra“. Es war ein Fest und ich liebte diesen Ort. Wenn dann meine Freunde und ich nach einem lauen Sommerabend im „Centro Asturiano“ leicht beschwipst nach Hause aufbrachen, blieben wir meist noch unten auf der Straße stehen und unterhielten uns weiter. Ich hab das damals nicht verstanden, weil doch alle bereits gesagt hatten, sie seien müde und wollten nach Hause gehen. Diese Abschiede konnten durchaus nochmal eine Stunde dauern. Aus Deutschland war ich gewohnt, dass man sagt , man geht, verabschiedet sich und geht dann einfach. Das war hier anders, es gab irgendwie immer noch viel zu erzählen und irgendwann hatte ich mich daran gewöhnt und auch meine Abschiede wurden länger.

Barcelona heute

Die Stadt hat sich verändert im Laufe der Jahre. Restaurants und Bars brauchen Lizenzen um öffnen zu können. Das Gesundheitsamt kontrolliert in den Lokalen, ob die Küche den Hygienevorschriften entspricht und die Preise für Immobilien sind enorm gestiegen. Ich bin inzwischen im Alter meines damaligen Nachbarn und das eine oder andere Mal ziehe ich mir meinen Morgenmantel an, um in der Studenten WG unter mir darum zu bitten, dass sie die Musik leiser machen.

Warum ich das Netz vor meinem Fenster habe? Ich wohne in einem mehrstöckigen modernen Neubau mitten im Zentrum Barcelonas und vor zwei Wochen sind 30m2 Steine meiner Fassade mit einem lauten Krach vor den Haupteingang abgestürzt. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Gerade eben ist direkt vor meinem Fenster ein Kran mit einem Bauarbeiter vorbeigefahren. Grüßt man in so einer Situation? Ist noch neu für mich, vielleicht werde ich mal die Nachbarn fragen. Jetzt ist jedenfalls die gesamte Fassade des riesigen Gebäudes mit einem blauen Netz gesichert, damit nicht noch mehr Steine runterfallen. Im Eingangsbereich wurde ein Tunnel gebaut, durch den wir jetzt in unser Haus gehen. Das Gebäude ist ein städtisches Projekt, 6 Jahre alt, architektonisch hochmodern und preisgekrönt. Subventionen gab es auch für Solarenergie auf dem Dach und hydraulisches Abfallsystem im Keller. Leider hat nichts davon auch nur einen Tag funktioniert und das ist auch mein Barcelona. Wir haben eine Pandemie und ich gucke durch ein Netz in die Welt. Ich liebe diese Stadt und alles  was dazu gehört irgendwie immer noch.

  1. Andrea

    Liebe Stefanie, du nimmst uns mit auf eine Reise, man kann dein Barcelona in der Geschichte fast schon fuehlen und schmecken, da bekommt man sofort Fernweh!

  2. Kommentar des Beitrags-Autors

    Das freut mich sehr Andrea, momentan ist es ja die beste und sicherste Art zu Reisen 😉

  3. Fritzchen

    Liebe Steffi, wenn Dein Sohn nur eine Kleinigkeit von Dir geerbt hat, wirst Du Dich noch wundern und viel Freude haben.Deine Neugierde , Dein Mut und Beharrlichkeit sind bewundernswert. Ich freue mich schon auf die nächste Geschichte aus Deinem Leben.

  4. Kommentar des Beitrags-Autors

    …eine Kleinigkeit hat er bestimmt von mir und wenn ich so an meine Jugend zurückdenke, bin ich froh dass ich auch grosszügige und geduldige Eltern hatte.

  5. Heike

    Liebe Stefanie, schön, auf diese unterhaltsame Art mehr über deine Wahlheimat und dein Leben dort zu erfahren!
    Und die Geschichte über die peinliche Mutter, die ich ja zur Zeit auch häufig bin, war köstlich und irgendwie tröstend…
    Freue mich, mehr von dir zu lesen!
    Viele Grüße!

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