Heute habe ich es geschafft, morgens im Meer zu schwimmen, wie wunderbar! Ich schwimme oft raus bis zu den gelben Bojen, wo mir kaum noch Menschen begegnen. Dort ist ein Schwimmer direkt auf mich zu geschwommen, obwohl wir zu beiden Seiten unglaublich viel Platz hatten. Gilt hier rechts vor links wie im Straßenverkehr? Und was ist die Norm, wenn sich zwei einsame Schwimmer im Meer treffen, grüßt man sich freundlich? Ich habe angehalten, der andere Schwimmer auch und wir haben uns gegrüßt. Dann ist jeder von uns weiter geschwommen. Nach meiner gemütlichen Schwimmerei lege ich mich ein Weilchen an den Strand, um diese Uhrzeit ist es noch nicht heiß und heute weht ein angenehmer Wind.
Schwimmflügel und Skatrunde
Neben mir sitzt eine Mutter mit ihrem 2 oder 3-jährigen Sohn. Ihr Gesicht sagt: Ich möchte einfach nur hier liegen und ausruhen. Voller Hoffnung auf die Autonomie ihres Kindes, zieht sie ihm Schwimmflügel an. Er, ein kleiner Lockenkopf voller guter Ideen, rennt direkt ins Wasser, merkt dann aber, dass ihm etwas fehlt: die Mama. Er läuft zurück und zieht sie hinter sich her in die Wellen. Sie haben viel Spaß und jedes Mal, wenn ich zu ihnen schaue, denke ich: wie schön, dass diese Mutter ihr Kind sehr lieb hat, denn: wo sind die gemeinsamen Interessen einer 40-jährigen Frau und eines 2-jährigen Kindes? Ich sehe das Buch neben ihrem Handtuch und vermute, sie wird es nicht einmal aufschlagen, bei diesem Strandbesuch.
Hinter mir haben sich drei ältere Damen ein „Chill-out“ mit Sonnenschirmen und kleinen Klappstühlchen um einen Tisch gebaut. Die drei Damen sitzen oben ohne um den Tisch und spielen Karten. Neben ihnen steht eine Kühlbox mit Getränken und Essensvorräten, die für mehrere Tage reichen würden. Sie reden und lachen laut und haben offensichtlich großen Spaß.
Im Hintergrund spielen sehr sportlich aussehende junge Menschen Beach-Volleyball, ein Sport der durch coronabedingt geschlossene Sporthallen, unglaublich populär geworden ist. Ich bewundere deren Ausdauer und bin froh, dass ich einfach nur herumliegen kann. Die Mutter des Kindes hat inzwischen mehrere Sandburgen mit ihm gebaut und versucht sich unauffällig auf ihr Liegetuch zurückzuziehen. Der Sohn bemerkt das und zieht sie an der Hand zurück zu den Burgen. Erwartungsvoll gibt er ihr die Schaufel in die Hand. Sie nimmt sie an, mit den Worten: „Das ist aber die letzte und dann legt sich die Mama einen Moment hin.“
Fotosession und Homeoffice am Strand
Vor mir hat sich eine Strandschönheit in die Brandung gekniet und ihr junger motivierter Partner fotografiert sie. Ihre Haare wehen im Wind und ich bin nicht die einzige, die dieses Fotoshooting verfolgt.
Ein sehr tätowierter Mann liegt zwei Strandtücher weiter direkt neben seinem Klappfahrrad und schreibt etwas auf seinem iPad. Ist das ein modernes Homeoffice? Ich denke ja.
Inzwischen hat ein älteres Paar neben mir ihren Sonnenschirm aufgebaut. Ich höre nicht alles, was sie sagen, sehe aber, dass der Mann, bevor er einen Schritt tut, fragend in ihre Richtung schaut. Sie trägt einen blumig bunten Badeanzug, hat die Hände in die Seiten gestemmt und gibt ihm Anweisungen. Ja, er solle ins Wasser gehen. Nein, aber nicht so tief hinein. „Antonio, da kommst du nicht mehr alleine heraus!“, sagt sie wütend. Antonio winkt ab und geht rein.
Die Fotosession vor mir hat sich jetzt auf das Strandtuch verlegt. Der Fotograf braucht eine Pause und betätigt sich als DJ. Die Musik ist laut, sodass wir alle etwas davon haben. Sie nutzt die Zeit und macht Selfies mit ihrem Smartphone.
Antonio kommt nicht aus dem Wasser
Die Kindesmutter hat es inzwischen geschafft für einen Moment in der Sonne zu liegen und ihr Sohn hat wieder eine gute Idee. Er schleppt ein Eimerchen voll mit Wasser zu seiner Mama und schüttet es über sie. Sie erschreckt sich und redet tadelnd mit ihm, er senkt schuldbewusst den Kopf. Von der Seite kann ich sehen, dass er dabei ein bisschen lächelt.
Inzwischen sind die Wellen etwas höher geworden und Antonio hat, wie von seiner Frau prophezeit, Probleme alleine aus dem Wasser zu kommen. Der tätowierte Hipster im Homeoffice unterbricht seine Arbeit und hilft dem Mann an den Strand. Seine Frau empfängt ihn schimpfend.
Es ist fast 10.00 und mir wird es so langsam zu heiß. Die fröhliche Frauenskatrunde von nebenan hat inzwischen kleine Weingläschen auf dem Tisch stehen, daneben Oliven und Chips. Ich höre lautes Lachen inmitten angeregter Gespräche.
Etwas weiter weg vor den Felsen liegt ein Mann ohne Badehose. Sein dunkelbrauner Körper ist kaum von der Ledertasche, die neben ihm liegt, zu unterscheiden. Ich vermute, dass er jeden Tag hier liegt. Die Skatrunde winkt ihn zu sich, die Frauen begrüßen ihn freundlich und laden ihn zu einem Gläschen Wein ein. Anscheinend kennen sie sich.
Die Volleyballer spielen immer noch und neben mir redet die ältere Dame schimpfend auf ihren Mann ein. Dieser liegt auf dem Rücken und ich glaube, er ist gerade eingeschlafen. Der Lockenkopf hat ein kleines Mädchen kennengelernt und beide bauen an der Sandburg weiter. Seine Mutter nutzt das Zeitfenster und schaut 2 Minuten in ihr Buch, aber da ist er bereits wieder bei ihr. Ich denke, er hat Hunger, denn sie packt eine Banane aus.
Die Lage spitzt sich zu
Plötzlich wird es laut und ich sehe, wie sich von Weitem eine riesige Gruppe von Kindern in orangefarbenen T-Shirts nährt. Es ist die Zeit der Ferienspiele, wo Kinder tagsüber in Gruppen betreut werden. Viele dieser Gruppen nutzen den Strand als einen attraktiven Programmpunkt am Morgen. Ich weiß aus Erfahrung, was es bedeutet, direkt in der Schneise einer solchen Horde zu liegen. Es sind bestimmt 80 Kinder, die in gut organisierten Gruppen auf den Strand verteilt werden. Jetzt heißt es für mich, schnell sein, alles einpacken, anziehen und weg. Momentan cremen sich 80 Kinder gegenseitig mit Sonnencreme ein, ich habe noch ungefähr eine Minute.
Kennt ihr die Bilder von Gnus, die von Löwen gejagt werden und durch die Steppe um ihr Leben rennen? Kindergruppen verwandeln sich in eine solche Gnuherde, wenn sie das Meer sehen. Sie müssen direkt hineinrennen. Dabei sehen sie nicht, welche Hindernisse auf ihrem Weg sind. Ich sehe Betreuer, die vergeblich versuchen den Kindern zu erklären, dass sie langsam und hintereinander ins Wasser gehen sollen. Sie hören zu und werden die ersten Schritte langsam gehen, um dann immer schneller zu werden. Ich bin leider nicht schnell genug und bevor ich mein Kleid anziehen kann, sehe ich sie angelaufen kommen. Ich bin genau in der Linie zwischen ihrem Strandplatz und dem Wasser.
80 Kinder rennen auf mich zu und schmeißen mit ihren kleinen Füßchen Sand um sich. Ich bin umgeben von Sandstaub und nachdem alle Kinder glücklich im Wasser gelandet sind, ist meine Tasche voller Sand, meine Haare und meine Augen auch. Immerhin habe ich es geschafft aufzustehen, sodass sie nicht über meinen liegenden Körper gerannt sind. Was solls, duschen kann ich auch zu Hause. Die Mutter hat inzwischen ihr Buch eingesteckt und lässt sich von ihrem Sohn einbuddeln.
Zu meiner linken wird weiter geschimpft, ich höre den Mann dazu schnarchen. Die Skatrunde hat jetzt belegte Brote ausgepackt, der nackte Mann sitzt auf einem der Klappstühle und spielt mit. Der Hipster hat für heute sein Homeoffice beendet, es ist 10.30, ich setze mich auf mein Fahrrad und fahre nach Hause.
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