Egal ob morgens, mittags oder abends, an einem sonnigen Tag oder bei Regenschauern, wenn ich an die Zimmertür meines Sohnes klopfe, kommt nach ein paar Sekunden ein genervtes: „Jaaaaaa?“ Manchmal, an besonders schlechten Tagen kommt direkt: „Was willst du?“, bevor ich Zeit habe, die Tür zu öffnen.
Wie ich bereits in anderen Texten beschrieben habe, finde ich meinen Sohn dann immer liegend auf dem Bett vor, am Laptop oder am Handy. Meist ist in diesen Situationen meine erste Schwierigkeit, einen kurzen Augenkontakt von ihm zu bekommen. Wenn ich ihn darum bitte, mir zuzuhören, ist seine Genervtheitsskala direkt auf 100. Ich weiß gar nicht, ob er dann überhaupt noch zuhören kann, denn ich merke, es ist aus seiner Sicht eine absolute Zumutung! Meine Erscheinung ist eine Zumutung.
Frische Luft? Nein danke!
Tatsächlich sind die meisten Anliegen von mir, wenn ich an seine Zimmertür klopfe, mit einem Auftrag an ihn verbunden. „Kannst du bitte die Wäsche aufhängen?“ Oder „Denkst du daran, dass du morgen einen Zahnarzttermin hast?“ Manchmal frage ich auch einfach nach ein paar Stunden geschlossener Tür, was er so mache und ob er nicht mal rausgehen möchte. Ich glaube, viele Mütter und vermutlich auch Väter sind besorgt, dass ihre jugendlichen Kinder nicht genug rausgehen. Wie ein alter Mantel, der ab und zu gelüftet werden sollte. Mein Sohn kann der Idee der „frischen Luft“ im Moment nicht wirklich viel abgewinnen. Mir kommt dabei Sheldon aus der Serie „The big bang theorie“ in den Sinn. Sheldon ist Autist und liebt die Routine in seinem Leben. Auch seine Mutter hatte ihm gesagt, es sei wichtig, jeden Tag an die frische Luft zu gehen. Da Sheldon lieber am Computer sitzt, ist er sehr glücklich über seine Entdeckung: Ein Computerspiel, bei dem er virtuell draußen Spazierengehen kann! Das wäre auch für meinen Sohn ideal.
Bei meinen Frischluftmotivationsversuchen kommt meist die Antwort: „Nee, keine Lust!“ oder „Nee, keine Zeit!“. Manchmal auch „Du nervst, ich gehe raus, wann ich will!“ oder wahlweise: „Lass mich in Ruhe!“
Dann heißt es, tief durchatmen auf meiner Seite und mich wieder meinen Dingen zuwenden.
Wenn ich die Überbringerin guter Botschaften bin, kommt es auf Leos Grundstimmung an, wie er es aufnimmt. Eine gute Botschaft könnte zum Beispiel sein: „Leo ich habe einen Mangolassie gemacht, kommst du?“ Bei guter Grundstimmung könnte ein: „Ok, warte.“ die Antwort sein. Auch hier sollte ich auf jeden Fall Geduld mitbringen, weil nie genau klar ist, wie lange das Warten dauern kann. An schlechten Tagen kommt dann eher: „Muss ich rauskommen, kannst du mir das nicht ins Zimmer bringen?“
„Ommmmm!“ Tief durchatmen.
Eine Wanderung durch die Wüste
Manchmal, besonders morgens frühstücken wir zusammen und Leo spricht kein Wort. Wenn ich ihn frage, ob alles ok sei, kann diese Frage bereits zu viel sein.
„Ja, klar ist alles ok, musst du immer so viel fragen?“ Nach meinem Eindruck hatte ich nur eine Frage gestellt an diesem Tag, für ihn eine Frage zu viel. Ich frage auch manchmal nach einem Freund, von dem ich lange nichts gehört habe und Leo vermutet direkt einen negativen Hintergedanken in meiner Frage. Ich merke, an manchen Tagen bin ich als Leos Mutter einfach eine Provokation für ihn und egal was ich sage, es wird negativ bewertet. Wenn ich selber keinen guten Tag habe, verletzt mich das.
Es ist nicht so, dass wir uns viel streiten würden, Leo ist auch nicht sehr aggressiv zu mir oder anders grenzüberschreitend. Ich empfinde aber diese stetige Ablehnung oder genervte Antwort auf mich als eine echte Durststrecke. Ich wandere durch die Wüste, mit dem Wissen, vorerst ist die Landschaft um mich herum karg. Irgendwann werde ich wieder an kleinen Oasen vorbeikommen. Langsam wird dann die Vegetation grün und saftig und die Wüste liegt hinter mir. Das ist meine Vision, die mir Hoffnung gibt.
Die wichtige Abgrenzung zwischen Mutter und Sohn
An guten Tagen schaffe ich es, zu merken, dass Leos Laune gar nichts wirklich mit mir zu tun hat. Ich weiß, dass seine Ablehnung von mir wichtig ist für seine Entwicklung und dass er sich gerade in einer schwierigen Phase zwischen Kind-sein und Erwachsen-werden befindet. Um die eigene Position in diesem Wellenbad der Gefühle zu finden, ist es wichtig, die großen Einflüsse erstmal beiseite zu schaffen. Die Sicht frei zu haben für den eigenen Weg. Wie beim Kegeln braucht die Kugel Platz und donnert die Kegel beiseite. Ja, ich bin ein Kegel in diesem Bild und ich versuche diese Rolle anzunehmen. Ich merke, es hilft, mich ganz klar abzugrenzen, damit sich unsere Laune nicht vermischt in unserer kleinen Wohnung und wir am Ende beide keinen ganzen Satz mehr miteinander reden. Ich bin ja immerhin die einzige wirkliche Erwachsenene hier. Vielleicht bin ich ja auch manchmal eine Nervtante!
Mir hilft auf jeden Fall, mich wieder mehr eigenen Projekten zuzuwenden. Schöne Dinge zu machen, mit Menschen, die ich mag und die mich auch mögen.
Hier meine ich nicht den totalen Rückzug Leo gegenüber, denn ich glaube, meine Präsenz ist trotz häufiger Ablehnung gerade in dieser Zeit wichtig. Ich werde Leo auch weiter anbieten, mit mir zu reden und ihm zeigen, ich bin da, falls er mich braucht. Ich glaube, das kommt auch an bei ihm, auch wenn er dieses Angebot im Moment nur sehr selten annimmt.
Es gibt auf jeden Fall Hoffnung!
Zum Glück gibt es manchmal auch die krassen Stimmungsschwankungen in die andere Richtung: Dann singt er ein absurdes Lied über das Leben oder tanzt mit verstörend lustigen Moves durch die Wohnung. Das sind die kleinen Oasen auf meiner Wüstenwanderung als Mutter. Da sehe ich dann, es gibt ihn noch, meinen gutgelaunten lustigen Sohn, voller Energie und komischer Ideen!
Ja, es gibt Hoffnung, denn die Adoleszenz ist am Ende auch nur eine Phase, die irgendwann vorbei sein wird. Dann darf ich hoffentlich bei dem absurden Lied über das Leben wieder mitsingen, ich freu mich darauf!
Ingrid
Schön geschrieben.. Mich würde interessieren, was Dein Sohn in 10 Jahren zu Deinen Gefühlen zu sagen hätte.
Stefanie Pfeil
Oh ja, mich auch!
Sandra F.
Ich glaube, dass Du nicht allein bist mit diesen Erlebnissen mit fast erwachsenen Kindern. Wenn in dieser Zeit die Mutter oder der Vater auch im Stress sind, dann eskaliert das manchmal sogar.. Oft sind aber beide Parteien in kurzer Zeit wieder reumütig und entspannt.. Man hat sich ja lieb!