Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Pfeilsenderstories

Eingesperrt auf einem Friedhof in Barcelona

Eine Wohnung zwischen Mallorca und Valencia

In meiner ersten Zeit in Barcelona sind mir viele verrückte Dinge passiert und ich vermute einige von euch könnten ähnliche Stories erzählen: Über die Lebensphase der ersten Unabhängigkeit, über das Improvisieren, den freudig-naiven Blick auf das Leben.

Ich war noch sehr neu hier in Barcelona und hatte das große Glück, über einen Aushang an der Uni – damals waren das kleine beschriebene Zettel, die an einer Pinnwand hingen – ein Zimmer in einer schönen Wohnung mit einem sehr, sehr netten Mitbewohner zu bekommen.

Ein unglaubliches Glück, wenn ich bedenke, dass ich Luis, wie damals üblich, von einer Telefonzelle aus, an einer stark befahrenen Straße anrief und kaum etwas verstand außer, dass die Straße, wo die Wohnung war, zwischen Mallorca und Valencia lag.

Zwischen Mallorca und Valencia? Irgendwo im Mittelmeer also. Ein Hausboot? Ich habe damals nicht weiter darüber nachgedacht und hatte mir zum Glück die Hausnummer gemerkt. Später erst habe ich das System des Beschreibens von Adressen im „Eixample“ verstanden. Da die Grundstruktur in diesem Viertel von quadratischen Häuserblöcken mit Innenhof bestimmt wird, verlaufen die meisten Straßen parallel bzw. rechtwinklig zueinander. Bei den besonders langen Straßen sagt man dann also den Straßennamen und die zwei angrenzenden Straßen, so dass jemand, der die Stadt kennt, sofort weiß, wo das liegt.

Stadtspaziergänge in Barcelonas Periferie

Meine erste Zeit in Barcelona verbrachte ich damit, die Stadt zu erkunden. Architekturinteressiert wie ich war, fing ich an, ausgerüstet mit einer Univeröffentlichung aus Zürich “Neue Stadträume in Barcelona” die Stadt zu entdecken. Das Buch hatte mir ein Studienfreund aus Deutschland geschenkt oder auch geliehen, denn ich sehe gerade, sein Name steht noch darin…

Abgesehen von den touristischen Highlights der zentralen Plätze und Parks Barcelonas, waren in diesem städteplanerischem Leckerbissen auch Orte aufgeführt, die am Rande der Stadt lagen, innerhalb der Brennpunkte der Stadt, die es überall gibt, die man aber sonst nicht unbedingt als Touristin besucht. Jung und naiv wie ich war, bin ich zu allen diesen Orten alleine gefahren oder gelaufen, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, in welcher Gegend ich mich gerade befinde.

Einmal landete ich in einem Stadtteil in der Periferie Barcelonas, auf einem städtischen Platz, ausgestattet mit einer einzelnen Palme vor einer riesigen Mauer. Dieser Platz wurde damals vor allem von der Drogenszene genutzt. Als ich anfing, meine Fotos zu machen, fiel mir auf, dass die Idee, meine Kamera rauszuholen, vielleicht nicht die beste war. Alle Blicke der wenigen Menschen auf dem Platz waren auf mich gerichtet und ich beschloss, es war Zeit zu gehen. Irgendwie hatte ich immer Glück, dass mir nie etwas Schlimmes passiert ist. In den Stadtteilen Barcelonas, wo ich mich normalerweise aufhalte, fühle ich mich ausgesprochen sicher und gut aufgehoben. Nicht zuletzt liegt das daran, dass egal zu welcher Tages- und Nachtzeit im Zentrum immer so viele Menschen unterwegs sind, dass es kaum ausgestorbene dunkle Ecken gibt. Bei meiner Tour durch Barcelona mit dem Schwerpunkt Plätze, Parks und Hinterhöfe habe ich viele unglaublich schöne Plätze entdeckt.

Was ist an diesen Plätzen anders?

In manchen Stadtvierteln konnte ich kaum fassen, dass an jeder Straßenecke einer dieser Orte zu finden war! Meist voller Cafés und Bars, im Sommer rund um die Uhr voller Menschen, die sich dort treffen auf einen Kaffee, ein Bierchen oder zum Essen. Ich weiß noch, wie ich in meiner ersten Zeit in Barcelona nach Hamburg gefahren bin, um eine Freundin zu besuchen. Wir setzten uns in ein Café an der Alster und ich dachte dauernd „irgendetwas stimmt hier nicht“, bis ich darauf kam: es war leise! An den Tischen redete meist eine Person und die anderen hörten zu! In Barcelona war ich inzwischen gewohnt, dass an einem Tisch mehrere Personen gleichzeitig redeten, laut gelacht wurde und wenn man mittendrin saß, konnte man sich aussuchen, ob man versuchte, dem eigenen Tischgesprächen zu folgen oder auch ein bisschen an den Nebentischen mithörte.

Natürlich gab es auch hier in Barcelona Situationen, in denen ein leises und persönlicheres Gespräch möglich war, aber die langen Nächte auf den schönen Plätzen waren meist laut und lustig.

Ich kenne kaum eine andere Stadt, die so viel an interessanter Architektur zu bieten hat wie Barcelona. Manchmal kam ich zufällig an einer Hofeinfahrt vorbei und entdeckte einen Hinterhof voller Palmen und einer freistehenden Fassade, an der man noch die Tapete des abgerissenen Hauses erkennen konnte. Die bekannten Bauwerke Barcelonas sind beeindruckend, aber selbst bei völlig ziellosen Stadtspaziergängen entdeckte ich immer wieder wunderbare Ecken.

8 Stockwerke von Grabnischen in Mauern – Besuch vom Friedhof am Montjuic

Einer meiner Stadtspaziergänge führte mich zu dem riesigen Friedhof am Montjuic. Ich wollte später noch die Gedenkstätte über dem Meer „Fossar de la Pedrera“ anschauen, ehemaliger Steinbruch und Gedenkstätte für die Opfer der Francodiktatur. Irgendwo in der Nähe des Friedhofs lag dieser Ort. Mein Mitbewohner war übers Wochenende weggefahren und ich wollte mir den Friedhof anschauen, wo die Menschen nicht, wie ich es kannte, in der Erde begraben wurden. Stattdessen sind die Särge in Grabnischen untergebracht, die bis zu 8 Stockwerken hoch in einer Mauer eingelassen sind.

Am Spätnachmittag trat ich also durch das meterhohe stählerne Friedhofstor und befand mich umgeben von riesigen Mauern voller Gräber. In jedem einzelnen Quadrat in der Mauer standen Blumen, Grabsteine und Fotos. Über 150.000 Menschen waren hier begraben! Die Sonne war immer noch sehr heiß und ich begegnetete nur wenigen Friedhofsbesuchern. Die meisten kamen vermutlich, weil sie das Grab eines Angehörigen oder Freundes besuchen wollten. Ehrfürchtig spazierte ich zwischen den ca. 5m hohen Grabwänden umher, las die Inschriften, schaute mir Fotos an. Die Wege waren wie ein Labyrinth und ich hatte bald die Orientierung verloren. Die Sonne war inzwischen untergegangen und ich machte mich auf den Weg in Richtung Ausgang.

Die Stahltür ist zu, ich bin allein auf dem Friedhof

Mit leichtem Herzklopfen merkte ich, dass ich niemandem mehr begegnete, was ich ziemlich beunruhigend fand. Noch viel beunruhigender war allerdings zu sehen, dass das riesige meterhohe Eingangstor aus glattem Stahl inzwischen geschlossen war.

Ungläubig schaute ich mich um, vielleicht gab es ja noch ein kleines Türchen daneben und einen freundlichen Friedhofswärter, der hinter mir abschließt. Nichts! Auf der Suche nach einem zweiten Ausgang bin ich dann wie ein Hamster im Rad die gesamte Periferie des Friedhofs abgelaufen, nur um festzustellen: es gibt nur diesen einen Eingang!

Ich schrie und rief und merkte bald, dass weit und breit niemand in der Nähe ist, der mich hören konnte. Ich kannte damals wenig Menschen in Barcelona und niemand wusste, wo ich war. Niemand würde mich vermissen…

Es fing an zu dämmern und ich wurde panisch! In meiner Verzweiflung versuchte ich die Mauern der Grabnischen hochzuklettern, aber der Mörtel dieser Konstruktion war so locker, dass ich nur immer wieder abrutschte. Falls ich dabei irgendein Grab minimal beschädigt haben sollte, möchte ich mich hiermit nachträglich dafür entschuldigen. Absurd allerdings zu glauben, dass genau dieser Grabbesitzer, dem ich vor 25 Jahren das Grab beschädigt hatte, jetzt diese Geschichte liest! Mir fielen alte Friedhofsgruselgeschichten ein und ich war sicher, wenn ich zwischen 150.000 Toten innerhalb dieses Grablabyrinths übernachten muss, würde ich sicher verrückt werden, selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass gar nichts Mystisches passiert!

Die rettende Lücke!

Nochmal rannte ich sämtliche Außenbereiche des Friedhofs ab und dann sah ich es: am Ende einer Grabmauer, kurz über einem Abhang gab es auf 2m Breite einen Bauzaun. Die Art Bauzaun aus festen Metallquadraten, so hoch wie die Mauer. Vermutlich wäre ich diese 5m hohe, wackelige Absperrung unter normalen Umständen nie hochgeklettert, aber ich hätte meine Seele verkauft, um dieser einsamen Friedhofshölle zu entkommen! Ich habe es tatsächlich geschafft, über den Bauzaun zu klettern und als ich auf der anderen Seite ankam, war ich eine Mischung aus einem nervlichem Wrack und dem glücklichsten Menschen der Welt!

Unterhalb des Abhangs sah ich im Halbdunkel die Gedenkstätte für die gefallenen Franco-Opfer, das eigentliche Ziel meines heutigen Ausflugs. Immerhin wusste ich jetzt, wo genau diese zu finden war. Den Besuch habe ich allerdings auf einen anderen Tag verschoben. Vermutlich habe ich mir auch die Öffnungszeiten vorher etwas genauer angeschaut…

  1. Fritzchen

    Spannende Geschichte und wenn man bedenkt, daß es eine wahre Begebenheit ist, ganz schön gruselig. Sehr schön geschrieben. Man freut sich auf weitere Abenteurer!!!

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