Am Wochenende mit meinem Sohn Leo zusammen Mittagessen kommt nicht mehr so oft vor und während ich gemeinsam mit Leo auf dem Sofa eine Serie schaue, ist mein Mutterglück komplett.
Leo hängt lässig seinen Arm über die Sofalehne und während Dirk Gently auf dem Bildschirm in absurde Szenen verwickelt wird, sehe ich, dass mein Sohn Plastikfolie auf dem Unterarm trägt. Nichts Gutes ahnend, aber mit der Hoffnung, dass er sich einen Spaß mit mir macht, frage ich ihn, was das denn sei und stelle die Serie auf Pause.
Nee, echt jetzt?
Leos Gesicht spricht Bände und ich merke sofort, dass meine erste Assoziation richtig ist. „Das ist ein Tattoo“, sagt mein Sohn zögernd.
Er zeigt mir seinen Unterarm und dieser ist voller asiatischer Schriftzeichen in Tiefschwarz. Ich bin schockiert, wütend und kann kaum glauben, was ich da sehe.
Wir haben seit Jahren die Abmachung, dass er sich erst mit 18 tätowieren darf. Ich bin kein großer Fan davon, sich den Körper zu tätowieren, verstehe aber auch, dass viele junge Leute da eine ganz andere Einstellung haben als ich. Mich stört an Tattoos besonders, dass sie sich nicht nach 3 Monaten von alleine auflösen, sondern dass ich eine Zeichnung, Schriftzug oder was auch immer, mein gesamtes Leben auf meinem Körper trage. Bei meinem Sohn war mein Gedanke bei dieser Regel auch, dass du meist mit 15 nicht das gleiche gut findest wie mit 25 Jahren.
Im Studium hatte ich einen Kollegen, der sich als 14-jähriger mit Freunden als Mutprobe ein Tattoo auf den Unterarm hat stechen lassen. 80er Jahre, na was war wohl das Motiv? Ja, es war eine Meerjungfrau mit sehr großem Busen! Der arme Mann hat als Erwachsener trotz hoher Temperaturen selten kurzärmlige T-Shirts getragen. Das war für mich ein sehr abschreckendes Beispiel, weil er wirklich darunter gelitten hat. Ja, es gibt inzwischen auch sehr schöne Tattoos und auch der Ruf der Tattooträger ist nicht mehr wie in meiner Jugend. Im Barceloner Schwimmbad, wo ich regelmäßig schwimme, gehöre ich vermutlich zu einer untätowierten Minderheit. Zurück zu meinem Sohn.
Mamasorgen und asiatische Kampfsprüche
Wenn Leo 18 ist, liegt es nicht mehr in meiner Hand, was er mit seinem Körper macht oder nicht. Heute habe ich gemerkt, es liegt auch jetzt nicht mehr in meiner Hand. Dieses Jahr wird Leo 18 und ich glaube, er hatte einfach keine Geduld mehr, zu warten.
Ich fühle mich enttäuscht, hintergangen und irgendwie empfinde ich es als Vertrauensbruch, dass er das gemacht hat, ohne mit mir zu reden. Darunter mischt sich die Muttersorge, dass er mit so einem großen Tattoo, direkt in eine Schublade gesteckt wird. Ich hatte bereits geschrieben, dass er sehr groß ist und mit seinem Rapper – Style oft von der Polizei angehalten wird. Meine Sorge ist, dass das mit so einem Tattoo noch mehr werden könnte. Natürlich ist das ein ungerechter Scheiß und sich danach zu richten ist irgendwie auch absurd, aber ich kann meine Mamasorgen nicht ganz ausblenden.
Nach dem ersten Wutausbruch, gehe ich in sein Zimmer, wohin er sich zurückgezogen hat.
„Ich bin total enttäuscht, dass du nicht mit mir geredet hast“, sage ich zu ihm.
„Tut mir leid“, sagt er.
„Was bedeutet das denn, was da auf deinem Arm steht?“
Ich denke dabei an Komiker, die bei asiatischen Tattoos sagen, dass da oft irgendeine Bedeutung gewünscht wird, aber der Tätowierer kopiert das Mittagsmenü eines Chinarestaurants. Vielleicht hat sich mein Sohn: „Hühnchen mit Reis süßsauer“ auf den Arm tätowieren lassen…
„Das ist eine Art Kampfausruf, den habe ich von den Mangaserien, die ich gucke!“, sagt Leo.
Oh je, ich dachte schlimmer kann es nicht werden. Kampfausruf? Animeserie? Wer ist dieser Kerl, der da auf dem Bett rumhängt, ist das mein Sohn?
Ich bin fassungslos und ziehe mich erstmal zurück, um ein bisschen ins Sofakissen zu heulen. Ich sehe meinen Sohn bereits mit Gangtattoos auf der Stirn in irgendwelchen kriminellen Gruppen. Oder mit diesen Tattoos, die Gefängnisinsassen tragen aus Gründen, über die ich jetzt lieber nicht weiter nachdenke. Und ich frage mich: Was habe ich als Mutter alles falsch gemacht? Oder: wie sehr hat meinen Sohn die Trennung seiner Eltern beeinflusst, dass er jetzt nach und nach auf die schiefe Bahn kommt?
Ja, das waren viele ungute Gedanken, die da auf mich zukamen und bei all den Vorurteilen, die ich anscheinend mit mir rumtrage, kam nach der Wut und dem Schock ein anderes Gefühl dazu:
Trauer darüber, dass mein Sohn große Entscheidungen alleine fällt, ohne mich. Ein Schritt mehr in seine neue Welt, in der ich eine andere Rolle spielen werde als früher. Die Entfernung zwischen uns wird größer und das ist vermutlich wichtig für ihn.
Ein Gespräch in Ruhe
Nach einer Zeit werde ich ruhiger und fange so langsam an, die neue Situation anzunehmen. Was soll ich auch anderes tun? Wegradieren scheint mir keine Option. Ich bitte Leo nochmal, in Ruhe mit mir zu sprechen.
Diesmal erzählt er mir genauer, warum er dieses Tattoo so unbedingt wollte und wie viel Kraft ihm dieser Spruch auf seinem Arm gibt. Es gibt viel Positives und Stärkendes, womit er das Symbol verbindet. Dann erfahre ich auch, dass er sich das Tattoo zusammen mit einem Freund hat stechen lassen. Beide das gleiche Tattoo als Symbol für ihre Freundschaft. Langsam fange ich an, ihn besser zu verstehen.
Wir haben an diesem Nachmittag ein sehr gutes Gespräch miteinander, und er erzählt mir sogar noch eine Geschichte von einem anderen Freund, die mich sehr berührt. Ich kann ihm jetzt auch besser von meinen Mamasorgen erzählen und er hört es sich an, ohne es abzuwehren.
Vielleicht hat diese Tattoosituation etwas Gutes ausgelöst. Heute habe ich es mir nochmal angeschaut und fand es gar nicht mehr so schlimm. Ich werde mich daran gewöhnen. Es wird vermutlich nicht das letzte sein und ehrlich gesagt, habe ich das bereits vermutet, als Leo 5 Jahre alt war. Er liebte damals die Tattooaufkleber und hat sich riesige Drachen auf seine Arme geklebt. Damals sah ich ihm an, dass er sich damit stark, unbesiegbar und mutig fühlte. Vielleicht ist das ja heute ähnlich?
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