Wo gibt es mehrstöckige Menschenpyramiden und Teufel die mit funkensprühendem Feuerwerk durch die Stadt tanzen?
Hier in Barcelona bei dem großen Stadtfest, was mehrere Tage die gesamte Stadt erfüllt. Nach der Schutzpatronin Merce benannt, gibt es Livekonzerte auf großen Bühnen, aber auch Kleinkunst in Parks und Zirkus auf dem Montjuic…
Besonders faszinierend für mich sind die Menschenpyramiden, sogenannte „Castells“ (Burg) und das „Correfoc“, ein Art „mobiles Feuerwerk“ mit verkleideten tanzenden Teufeln und feuersprühenden Drachenfiguren.
Castells und Menschenpyramiden
Als ich vor mehr als 20 Jahren zum ersten Mal eine Menschenpyramide in Barcelona gesehen habe, war ich beeindruckt und konnte kaum glauben, was ich da sah. Auf dem Plaza Sant Jaume vor dem Rathaus kletterten Menschen in Weiß gekleidet, jeweils auf die Schultern des anderen und bauten so immer größere Türme. Ein oder mehrere Castellchefs riefen die Kommandos von unten, wer wann wohin klettern soll.
Es gibt dabei die unterschiedlichsten Figuren, manche Castells haben auf der untersten Etage dutzende Menschen stehen, und jedes Stockwerk wird nach oben hin kleiner. Andere sind ein Turm mit 4 Personen pro Etage. Ich habe bis zu 10 Stockwerke dieser Castells gesehen. Von Etage zu Etage werden die Personen kleiner und schlanker, sodass oben meist nur noch Kinder sind. Ganz oben klettert ein sehr kleines Kind auf das haushohe Gebilde. Wenn dieses Kleinkind dann einen Arm in die Luft streckt, gilt das Castell als fertig gebaut und im besten Fall wird es dann wackelnd von oben nach unten abgebaut, indem die obersten nach unten an den Körpern „abrutschen“.
Kleine Kinder klettern über 20m hoch
Als ich das erste Mal ein Castell einstürzen gesehen habe, habe ich mich furchtbar erschrocken und vermutet, alle hätten sich schlimm verletzt. Die sind dann aber alle aufgestanden und sahen ganz fidel aus. Verrückterweise passiert beim Fallen meist nicht viel, weil auch das trainiert wird.
Trotzdem frage ich mich seit Jahren; wie können Eltern ihr 4- oder 5-jähriges Kleinkind auf einen 20 m hohen Menschenturm klettern lassen?
Vermutlich ist das etwas, was man nicht versteht, wenn man nicht selber in so einer Castell-Familie aufgewachsen ist. Oft sind beide Eltern des Kleinkindes auch mit dabei und die Tanten und Onkel und die Großeltern, wenn sie noch fit sind. Die kleinen Kinder werden auf dem Boden abgelenkt, während die ersten Etagen aufgebaut werden, damit sie keine Angst bekommen. Dann werden sie (heutzutage mit Helm) direkt zum Klettern animiert, wenn sie dran sind.
Es gibt in ganz Katalonien Wettbewerbe dieser Castells, wo verschiedene Formationen in maximaler Höhe gebaut werden. Mir stockt nach wie vor der Atem, wenn ich diese Akrobatik bestaune.
Correfoc mit tanzenden Teufeln und Drachen
Das „Correfoc“ (das laufende Feuer) ist ähnlich verrückt! Es findet meist abends im Dunkeln statt und wird von Trommlern begleitet, die trommelnd und tanzend durch die Straßen ziehen. Die Feuerteufel sind als Teufel verkleidete Menschen, die Stäbe mit Feuerwerkskörpern tragen, die immer wieder angezündet werden. Diese Feuerteufel laufen dann durch die Menge und die Menschen versuchen, ihnen zu entkommen. Oder sie tanzen mit ihnen zu der Trommelmusik im Funkenregen. Besonders die Jugendlichen provozieren gerne diese Teufel und bekommen dann eine ordentliche Portion Funken um die Ohren.
Sicherheitsabstand? Brandschutz? Nee, das gibt es hier nicht! Die Menschen ziehen sich langärmlige Sachen an und Tücher oder Kapuzen über den Kopf und Eltern hoffen, dass ihre Kinder vollständig und unversehrt wieder mit nach Hause kommen. Das erste Mal, als ich das erlebt habe, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Wie, Feuerwerk inmitten der Menschen?
Dazwischen gibt es meist noch Drachenfiguren, die ebenfalls Feuer speien, sodass man unglaublich aufpassen muss, denn die Funken sprühen von allen Seiten. Hier in Barcelona gibt es das Correfoc für Erwachsene und das für Kinder und ich muss zugeben, das für Kinder ist für mich schon total aufregend! Vor ein paar Tagen war ich mit Freunden bei einem Correfoc.
Nochmal Glück gehabt!
Ein Freund traf dort einen ihm bekannten älteren Herren, der ein riesiges Pflaster auf dem Kopf hatte. Ihm war ein Feuerwerkskörper direkt über der Glatze explodiert und er zeigte uns stolz die leere Hülse des Artefaktes. Er schien nicht weiter beeindruckt von seiner Verletzung, trank sein Bierchen und genoss das Spektakel. Die Hülse wollte er sich zu Hause einrahmen.
„Ach ja, sagte er, zum Glück ist das direkt neben einem Krankenwagen passiert!“
Was für eine positive, gelassene Haltung, niemand regt sich auf und keiner findet es gefährlich. Ich bin es auch inzwischen gewöhnt, gehöre aber nach wie vor zu denen, die den Teufeln schon von Weitem ausweichen.
Paella beim Stadtteilfest
Außerdem gibt es noch über das Jahr verteilt die Stadtteilfeste. Wie diese Feste gefeiert werden ist in jedem Stadtteil anders, manche sind sehr populär und halb Barcelona drängt sich durch die engen Gassen, während sich in anderen Stadtteilen hauptsächlich die Anwohner des Viertels treffen. Die Straßen werden geschmückt, Tische und Bänke stehen draußen und überall hört man den Klang von Trommeln und Livemusik.
Bei manchen Festen werden riesige Paellas auf der Straße gekocht. Es gibt Pfannen mit dem Durchmesser von 2,3 Metern voll mit Reis, Gemüse und Meeresfrüchten und rundherum stehen Menschen, die mit großen Holzlöffeln, die wie Ruder aussehen, das ganze bearbeiten. Das Ergebnis ist absolut köstlich! Ich wohne neben der Barceloneta, ein Fischerviertel am Meer gelegen und dieses Wochenende war hier das Fest des heiligen Miguel, der Hafenschutzpatron des Viertels.
Am späteren Abend bin ich in einer wunderbar geschmückten Gasse bei einem Konzert gelandet, wo ein Anwohner mit seiner Frau auf einer kleinen Bühne Musik machten. Er sang mit Torerohut und einer Art Supermancape, sie stand mit Hasenkostüm und Sonnenbrille am Synthesizer und machte Musik. Wenn sie an einer Schnur ihrer Hasenohren zog, wackelten diese im Takt der Musik.
Das aktuelle Lied handelte von einem Campingurlaub, wo er eine Italienerin kennengelernt und sich sofort verliebt hatte. Der Refrain ging ungefähr so:
Bella Signorina,io ti amo signorina. Signorina Ciao Ciao!
Das lustige war, der Musiker musste selber dauernd lachen über seine absurde Musik und das Publikum tobte. So langsam gehen auch in Barcelona die großen Feste in diesem Jahr zu Ende und es wird herbstlich. Durch mein offenes Fenster höre ich noch die letzten Trommelklänge der letzten Feiernden. Die nächsten Tage werde ich vielleicht damit verbringen herauszufinden, wo man die verrückten Hasenohren kaufen kann.
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