Ist es mein Schicksal, in die schönsten Krankenhäuser Barcelonas eingewiesen zu werden und dann in den schlimmsten Kellerfluren kriegsähnlicher Notaufnahmen zu landen?
Sonnenaufgang im Krankenzimmer
Diesmal war es nicht das wunderbare von Gaudi gebaute “Hospital de Sant Pau”, in dem ich vor vielen Jahren gelandet bin, sondern ein Krankenhaus direkt am Meer. Wenn du es schaffst, in der Vorderfront dieses Krankenhauses ein Zimmer zu bekommen, ist das wie ein Lottogewinn. Du schaust ähnlich wie in einer Luxushotelsuite aus großen Fenstern direkt auf das Meer. Die Sonne geht morgens über dem Meer auf und scheint in warmen Orangetönen in dein Zimmer. Wen kümmert da noch eine Blinddarmoperation oder ein kaputtes Knie? Freundliche Krankenschwestern und Krankenpfleger (Warum heißen die nicht Krankenbrüder?) gehen eifrig ein und aus und sorgen sich um dich, bringen Essen und Medizin. Was will man mehr?
Aus einem Problem werden zwei
Ich hatte nicht dieses Glück. Und nein, ich will euch auch nicht mit meiner Krankheitsgeschichte langweilen, nur so viel: Ich bin mit einer Routineoperation in das Krankenhaus gegangen, also sozusagen mit einem Problem.
Rausgekommen bin ich mit zwei Problemen, so dass ich 5 Tage später wieder im selben Krankenhaus landete, diesmal in der Notaufnahme.
Das war in dem Moment alles andere als lustig, aber es sind auch viele skurrile Dinge in meiner ersten Nacht in der Notaufnahme passiert. Es war wie eine Art schwarz-weiß Nachkriegsfilm um mich herum. Da meine Einweisung nicht geplant war, habe ich erst mal ungefähr 8 Stunden auf einem Stuhl verbracht. Dabei saß ich neben Menschen, die wie ich einfach nur still dasaßen und anderen, die irgendwelche Komplikationen hatten. Da war zum Beispiel ein russischer Mann, der so lädiert aussah, als käme er direkt aus einer ziemlich heftigen Schlägerei. Ich fragte mich, wie wohl sein Gegner aussah? War er im selben Krankenhaus?
Ein Arzt versuchte ihm auf Spanisch zu erklären, dass seine Krankenversicherung abgelaufen sei. Der Russe nickte zu allem, aber sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen, er verstand kein Wort. Der Arzt holte daraufhin einen Sicherheitsbeamten dazu, der Polnisch sprach. Irgendwie dachte der Arzt, der Pole könne doch bestimmt dem Russen das Problem mit der Krankenversicherung erklären. Der polnische Mann erklärte wild gestikulierend dem russischen Kranken das Problem mit der Krankenversicherung. Der Russe antwortete auf Russisch und niemand verstand den anderen.
Nachkriegsfilm in der Notaufnahme
Irgendwann habe ich dann diesen Vorwarteraum verlassen, mit dem Gedanken, jetzt komme ich endlich in mein schönes Zimmer mit Meeresblick. Stattdessen komme ich in einen sehr, sehr langen Flur. In diesem Flur sind nebeneinander aufgereiht Betten im Abstand von 1,5 Metern. Habe ich Betten gesagt? Es sind eher so eine Art harte kurze Pritschen, ich hatte die Nummer 93 und bin in der Mitte des Flures. Direkt hinter mir die Rezeption mit Schwestern, Ärzten, klingelnden Telefonen und frisch eingelieferten Notfallpatienten.
Ganz am Ende des Flures gibt es eine Toilette für ungefähr 150 Betten. Die Tür kann man nicht schließen, aber es gibt immerhin eine Pappe, die man auf „besetzt“ umdrehen kann. Der Türknauf ist mit Tesafilm angeklebt. Die Wände sind weiß gekachelt. Ich fühle mich inmitten eines Nachkriegsfilms, mit dem Unterschied, dass die Nachkriegsfilme meist sehr große Räume zeigen, in denen viele Betten stehen und nicht so lange enge Flure.
Indien? Afrika? Das passt schon eher, wobei hier auf jeden Fall ausreichend betreuendes Personal rumläuft. Pflegerinnen und Ärztinnen scheint es zu geben und diese sind auch hoch qualifiziert. Medikamente gibt es anscheinend auch, denn ich bin seit meiner Ankunft gut damit versorgt. Ich bekomme ein OP-Hemdchen und soll meine Klamotten in einer Plastiktüte unter dem Bett verstauen. Es ginge hier viel verloren, sagt man mir, wenn ich mich so umschaue, glaube ich das sofort. Meinem OP-Hemdchen, an sich bereits ein sehr offenherziges Kleidungsstück, fehlt das Bändchen zum Zubinden. Eine großzügige Schwester bietet mir eine Tesafilmrolle an, mit der ich mein OP-Hemd zuklebe. Es ist vermutlich dieselbe Schwester, die den Toilettenknauf damit angeklebt hat.
Ich liege auf der harten Liege, meine Füße baumeln im Leeren, ich schätze das Bett auf 1,70m x 0,50m.
Meine Wertsachen habe ich in einer Handtasche auf meinem Bett und wenn ich auf die Toilette gehe, nehme ich alles mit. Mein Aussehen ist mir in diesem Moment egal und ich vermute den anderen Kranken auch. Heute allerdings sehe ich das Bild in meiner Fantasie vor mir: Ich in meinem mit Tesafilm zusammengehaltenen OP-Hemdchen und der Handtasche auf dem Weg zur Toilette, ein absurder Anblick!
Manche jammern und Arturo will nach Hause
Es gibt Menschen, denen es guttut, leise vor sich hin zu jammern, wenn ihnen etwas weh tut. Direkt neben mir liegt so eine Jammerin. Sie jammert die ganze Nacht und aus verschiedenen anderen Betten wird auch gejammert. Ich finde es sehr anstrengend das Gejammer zu hören, aber was soll ich machen?
„Könnten sie bitte mal aufhören zu jammern?“ sagen? Bestimmt haben alle sehr gute Gründe so zu jammern.
Schräg gegenüber in einer Box (es gibt auch ein paar höhlenartige Boxen) liegt ein Obdachloser, der nach Hause will. Er guckt direkt auf mein Bett. Die Krankenschwester kommt und sagt zu ihm:
„Arturo, du kannst nicht nach Hause, du hast den Schädelknochen gebrochen. Du merkst zwar keine Schmerzen, aber wenn du gehst, kannst du sterben.“
Arturo antwortet leise und ich höre nicht, was er sagt, ich vermute er sagt dauernd, dass er gehen will, immer und immer wieder, die ganze Nacht.
Die Krankenschwester sagt daraufhin:
„Arturo, deinem Zelt wird schon nichts passieren, du musst wirklich hier bleiben, die Ärzte müssen dich weiter beobachten!“
Arturo sieht schlimm aus. Sein T-shirt ist voller Blut und ich glaube er hat sich geweigert, das OP-Hemdchen anzuziehen.
Irgendwie hat es die unglaublich geduldige Krankenschwester geschafft, Arturo zum Bleiben zu überreden.
Was muss ich zahlen für ein Kissen?
Ich versuche, ein Kissen zu bekommen. Es gäbe leider keine Kissen mehr, aber wenn eins frei wird, bekäme ich eins. Mein Kopf tut weh und zum Glück habe ich einen Schal von einer Freundin, den ich mir unter den Kopf rolle.
Eine alte Frau ruft die ganze Nacht mit schriller Stimme: „Nena, nena!“, was so viel wie „Mädchen, Mädchen!“ heißt. Darunter der tiefe Bariton eines Mannes: „Schwester, Schwester!“ Sie hören nicht auf zu rufen. Warum rufen sie nicht einmal und warten, bis jemand kommt?
Neben mir jammert es weiter.
Inzwischen hat Arturo angefangen sehr, sehr laut zu schnarchen, naja wenigstens geht’s ihm gut!
Das Telefon klingelt ununterbrochen, die Schwestern laufen den Flur auf und ab. Schichtwechsel: Dabei ist eine neue Schwester, mit einer krass lauten tiefen Stimme. Ich weiß jetzt, dass sie am Wochenende in den Bergen war und dass das Hotel ganz ok war, aber das Essen richtig schlecht. Dazwischen höre ich das Lachen und Reden der Schwestern untereinander. Ich bin beeindruckt: Wie können sie bei all dem Stress und diesen unmenschlichen Arbeitsbedingungen noch lachen? Unglaublich, mit welcher Geduld und Ruhe sie auf all diese unterschiedlich nervigen oder einfach nur bedürftigen Patientinnen eingehen. In diesem indischen Notfallflur ohne Fenster.
Ein ziemlich attraktiver Mann läuft in OP-Hemdchen mit Krücken auf Toilette. Ich sehe, dass einige, der nicht schlafenden Patientinnen ihm mit den Blicken folgen.
Ich frage eine vorbeilaufende Schwester, ob sie mir ein Kissen für Geld geben würde. Ich lache dabei, damit sie nicht wütend wird, meine es aber total ernst. Sie lacht auch und sagt, es gebe leider kein freies Kissen.
Ich schaue auf die Uhr, es ist 5.00 morgens und ich freue mich, dass die Nacht bald vorbei ist. An Schlafen ist nicht zu denken bei all dem Lärm auf der harten Pritsche unter meiner Neonröhre, die mir helles Licht genau ins Gesicht scheint.
Endlich ein Zimmer!
Heute werde ich verlegt, auf der Kinderstation ist noch ein Bett frei. Ich komme in ein Zimmer mit einem richtigen Bett, die Gardinen haben Muscheln als Muster und die Schränke sind bunt angemalt.
Mein Bett kann man hoch und runterfahren und ich habe ein großes, weiches Kissen. Meeresblick habe ich keinen, aber ich kann mein Glück kaum fassen!
Alleine im Zimmer probiere ich erstmal alle tollen Schalter aus: Füße hoch, Kopf runter, Kopf hoch, Licht an. Ich habe sogar einen Schalter, um Krankenpersonal zu rufen!
Mein Sohn hat mir einen Schlafanzug gebracht, ein Buch und mein Handyladegerät. Die Welt kommt so langsam wieder ins Lot. Ein zweites Bett kommt nachmittags in mein Zimmer. Eine sympathische Frau, die sich später als Jammerin entpuppt. Na ja, ich bin ja auch nicht im Luxushotel!
Inzwischen bin ich wieder zu Hause und mir geht es gut.
Immer, wenn ich mit meinem Fahrrad an dem schönen Krankenhaus am Meer vorbeifahre, denke ich an all die tapferen Frauen und Männer, die jeden Tag in dieser Notaufnahme arbeiten und bin voller Bewunderung. Wut ist auch mit dabei, denn nur Dank dieser Personen kollabiert das Gesundheitssystem hier nicht völlig.
Ich frage mich, wie es wohl Arturo geht. Hoffentlich stand sein Zelt noch da, als er aus dem Krankenhaus kam.
Andreas
Oh, Steffi, wie gut, dass Du Deinen Humor nicht verloren hast.
Diese Horrorzeit möchte ich nicht erleben.
Was uns nicht umbringt, macht uns stark. Trotzdem hatte ich viel -Spaß beim Lesen.
Stefanie Pfeil
Ich freu mich, dass du Spaß dabei hattest! Liebe Grüße