Tapas vom gleichen Teller essen
Bei uns ist es jetzt ungefähr ein Jahr her, dass wir den totalen Lockdown in Barcelona hatten. 3 Monate absoluter Hausarrest, nur zum Einkaufen durften wir raus, nicht einmal ein Spaziergang war erlaubt. Seit letztem Sommer habe ich meine Familie und Freunde in Deutschland nicht mehr gesehen und meine Sehnsucht wird jeden Tag grösser. Auch hier, in meinem Alltag, gibt es viel was mir fehlt im Moment: die Nähe mit meinen Freunden, Tapas vom gleichen Teller zu essen, spontan Besuch zu Hause zu bekommen und abends die Zeit zu vergessen.
Es gibt so unglaublich viel, was uns allen fehlt im Moment und ich werde jetzt trotzdem nicht darüber schreiben, denn ich bin Pandemiemüde und manchmal hilft es mir, den Blick auf die guten Dinge zu richten.
Blutjung mit 51
Es gibt Dinge in meinem momentanen Standby-Alltag, die ich irgendwie liebgewonnen habe. Jetzt ist es raus! Ich weiß nicht, ob es einen Namen dafür gibt, wenn man in einer Pandemie Dinge anfängt zu mögen. So wie bei dem Stockholmsyndrom, wo bei einer Entführung die Entführten anfangen, sich mit dem Entführer zu solidarisieren. Ich glaube es ist anders, denn ich weiß immer noch genau, dass ich jetzt lieber keine Pandemie mehr hätte. Dass ich positives in dieser Zeit für mich entdecke, hat mit meiner momentanen Lebensphase zu tun.
Ich bin jetzt 51, aus Sicht einer Achtzigjährigen noch blutjung, während ein Zwanzigjähriger diese Lebensjahreszahl vermutlich irgendwo auf dem Weg ins langsame Sterben einordnet. Je nach Tagesform fühle ich mich mal auf der einen, mal auf der anderen Seite, meist noch irgendwie relativ jung.
Ich bin in einem Alter, wo ich mich noch traue, mit Freunden im VW Bus auf ein Musikfestival zu fahren. Zwei Jahre ist das her und ich glaube abends im Dunkeln sind wir nicht mehr wirklich aufgefallen inmitten der vielen jungen Menschen. Ich habe mein älter sein aber selber gemerkt und das war irgendwie auch ein bisschen nostalgisch. Ich habe mich erinnert, an meine Zeit der Musikfestivals als junge Frau, in dieser Phase, in der noch nichts wirklich klar ist im Leben. Am zweiten Tag fing es an zu regnen und hörte nicht mehr auf, bis wir knietief im Schlamm standen. Früher hätte ich das sicher toll gefunden, heute nicht mehr wirklich. Später kamen viele junge Menschen zu uns an den Bus um sich Spaten und anderes Equipment zu leihen, sie sind einfach davon ausgegangen, dass Menschen im Alter ihrer Eltern das alles haben. Und hatten wir es? Selbstverständlich! Und wir haben es mit einem mütterlichen Klaps auf die Schuler gerne weitergegeben.
Bequeme Schuhe
Es gibt andere Situationen, in denen ich merke, dass ich in diesem Alter bereits das eine oder andere erlebt habe und Dinge tue, ohne darüber nachzudenken, wie andere das finden könnten. Ich bin noch nicht in dem Alter – sehr beliebt bei älteren Damen in meinem Wohnviertel – mit Lockenwicklern, Morgenmantel und Hauspantoffeln fröhlich plaudernd zum Bäcker zu gehen. Oft gewähltes Outfit auch bei kurzen Zigarettenpausen oder dem minimalen Stadthündchenspaziergang um den Blog. Diese Damen sind eindeutig einen Schritt weiter in dem Prozess, „mir ist es nicht mehr so wichtig was andere von mir denken“. Ich ziehe immer noch richtige Kleidung an. Draußen also weder Morgenmäntel noch Hauspantoffeln. Bitte versteht mich nicht falsch, die meisten Menschen hier in Barcelona legen sehr viel Wert auf ihr Äußeres. Diese älteren Damen, von denen ich spreche, sind eine schrullig schöne Ausnahme im Stadtbild.
Ich bin selber bereits in dem Alter, wo ich unbekümmert bequeme Schuhe trage. Also ich meine in meiner aktuellen Lebensphase ist bequem wichtiger als schön, aber schön ist noch nicht ganz unwichtig. Noch keine Orthopädie-schuhe sondern Sneakers oder Stiefel, die so bequem sind, dass ich damit viele Stunden unbeschwert rumlaufen kann, auch mit schweren Einkäufen. Ich bin in einem Alter, wo es mir nicht mehr peinlich ist, ein Damenfahrrad mit einem Einkaufskorb vorne und Hollandradlenker zu fahren. Wenn ich neu in eine Gruppe komme, setze ich nicht wie früher meine gesamte Energie daran, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Ich kann mich entspannt zurücklehnen und denken: vielleicht mögt ihr mich, vielleicht auch nicht, ich bin gespannt. Ich bin auch besser im Prioritäten setzen und freue mich über schöne Begegnungen mit Menschen, die ich wirklich mag. Meine Zeit ist irgendwie wertvoller geworden. Als junger Mensch erinnere ich mich an ein Gefühl, das mich oft begleitet hat: „Wie kann ich all das zeitlich unterbringen, was ich machen will und dabei auf keinen Fall irgend etwas verpassen?“
Ich merke es in diesem Moment: Ich habe die Angst nicht mehr, etwas zu verpassen! Es gibt für mich Dinge die mit dem älter sein leichter werden, wie schön!
Abendliche Ausgangssperre in Spanien
Hier in Spanien haben wir seit Monaten ein abendliches Ausgehverbot ab 22.00. Wenn man bedenkt, dass besonders für die jungen Menschen das abendliche Ausgehen oft erst um 24.00 oder noch später anfängt, ist das für manche eine Katastrophe. Der Tagesrhythmus ist hier irgendwie nach hinten verschoben und selbst Menschen in meinem Alter verabreden sich normalerweise abends ab 21.00, um dann noch gemeinsam irgendwo zu essen. Viele arbeiten noch vorher und selbst an einem Mittwoch oder Donnerstag ist es nicht ungewöhnlich, sich abends noch zu treffen.
Alles das fällt jetzt weg. Das führt bei mir dazu, dass ich meist bereits ab dem Spätnachmittag zu Hause bin und das Gefühl habe, der Tag sei vorbei. Ich nutzte nicht mal diese Ausgangssperre um bis 5 Minuten vor 22.00 noch irgendwo draußen zu sein, ich bin schon Stunden vorher da. An besonders aufregenden Tagen verabrede ich mich mit meinem langjährigen Freund Lluís und wir gehen mit seiner Hündin am Hafen spazieren. Meist dieselbe Runde. Wie Oma und Opa. Ich gehe sowieso jetzt ständig spazieren mit Freunden. Ich glaube, ich bin im letzten Jahr so viele Kilometer gelaufen, wie in den ganzen 51 Lebensjahren zuvor insgesamt.
Spazierengehen, hallo! Früher bin ich vor Langeweile fast gestorben, wenn meine Eltern, meine Schwestern und mich zum Spaziergang mitnahmen. Momentan ist es zu meinem schönsten Hobby geworden.
Die schönen Lockdownrituale
Die Rituale sind es, die mich im Moment pandemietauglich halten. Ich stehe früh auf und gehe erstmal ein paar Minuten auf so ein kleines Pedalengerät, also so ein „Dings“, was es möglich macht auf der Stelle zu laufen, ohne dass man dazu Platz braucht. Freitags gibt es immer selbstgemachte Pizza -natürlich mit frischer Hefe- ein Höhepunkt der Woche. Kuchen wird am Wochenende gebacken. Die aufmerksame Leserin sieht bereits jetzt ein Schema: Alles Rentneraktivitäten!
Ich kann nachts nicht mehr gut schlafen, stehe extrem früh auf, mache meine gemütliche Fitness, gehe spazieren und backe am Wochenende!
Vor ein paar Tagen habe ich einen Freund auf der Straße getroffen, der mir erzählte, er stünde bereits zwischen 4.00 und 5.00 morgens auf, abends ab 21.00 fallen ihm die Augen beim Lesen zu und auch er ginge jetzt oft am Hafen spazieren. Ein Verdacht macht sich in mir breit und ich merke: vermutlich geht es ganz vielen Menschen ähnlich. Wir haben unsere Lebensmitte übersprungen und sind direkt ins Rentendasein gerutscht! Das Verrückte daran ist: ich finde diesen Teil der Pandemie gar nicht so schlimm! Ich weiß auch gar nicht wie das wird, wenn ich plötzlich wieder ganz frei entscheiden kann. Ich habe mal gehört, dass Flöhe, wenn sie eine Zeit in einem Glas mit Deckel leben, ihre Sprunghöhe so regulieren, dass sie nicht beim Springen an den Deckel stoßen. Öffnet man nach einiger Zeit den Deckel, springen sie weiterhin erstmal nur bis zur imaginären Deckelhöhe.
Ich bin definitiv im Flohmodus. Die Vorstellung, jeden Abend frei gestalten zu können, überfordert mich momentan. Ich mag die Hafenspaziergänge am Spätnachmittag.
Altersentspanntheit im Morgenmantel
Natürlich sehne auch ich mich nach dem Ende der Pandemie. Ich frage mich, wie das sein wird, haben wir dann alle Pandemieendefrei? Wird es einen Tag geben, an dem jemand einen großen Gong schlägt und sagt: „jetzt ist alles vorbei, ihr seid frei zu tun was ihr wollt?“ Gibt es dann einen Monat in dem Weihnachten, Karneval und Sommerurlaube nachgefeiert werden? Werden wir fremde Menschen auf der Straße weinend umarmen?
Ich werde es ganz bestimmt feiern mit meiner Familie und meinen Freunden und wir werden tagelang vermutlich in einen euphorischen Gefühlsrausch geraten.Mir wird ganz warm ums Herz bei dieser Vorstellung.
Und was kommt dann? Tapas essen mit Freunden an lauen Sommerabenden mit einem Glas Rotwein dazu, ist wirklich eine prima Aussicht. Vielleicht wird es einen Moment an diesen Abenden geben, wo wir uns anschauen und zugeben, dass wir die vielen Spaziergänge vermissen. Das wir heimlich weiter unsere Indoor Rentnergymnastik machen, sehr früh aufstehen, freitags Pizza mit frischer Hefe essen und am Wochenende Kuchen backen. Jetzt kann uns nichts mehr passieren, denn wir sind auf alles vorbereitet. Wir haben ein Gratistraining fürs Rentenalter bekommen und ich muss sagen, wenn ich dann später das große Glück habe, keine größeren Gesundheitsprobleme und Geldsorgen zu haben, freue ich mich irgendwie auf diese Zeit! Vielleicht bin ich dann noch einen Schritt weiter in meiner Altersentspanntheit, so dass ich an manchen Tagen eine kleine Runde ums Haus drehe im Morgenmantel und mit meinen Hauspantoffeln. Die Lockenwickler wären jetzt doch irgendwie übertrieben als Bild.
Fritzchen
Steffi, ich glaube, Du hast vielen jungen und auch nicht mehr so ganz jungen Menschen viel Mut gemacht. Ich gehöre leider zu der älteren Generation aber meine Ungeduld und auch die Befürchtung dass die Kinder und Jugendlichen unvorsichtig werden , wächst .