Aus dem Leben einer Mutter im Süden

Pfeilsenderstories

Der Geist Gaudis erscheint mir im Schlafzimmer

„Tunnel und lange Flure begünstigen Geistererscheinungen“. Das war das Ergebnis einer Untersuchung eines schottischen Forscherteams, das Phänomene, die nicht wissenschaftlich belegbar waren untersuchte. Eine Sendung zu dem Thema habe ich vor vielen Jahren im Radio gehört und war fasziniert. Es gibt also Forscher, die schwer erklärbare Phänomene untersuchen und dafür bezahlt werden. Wie verrückt! Arbeiten die bei der Nasa?

Die abenteuerliche Entstehung des Eixample

In meinen ersten Jahren in Barcelona wohnte ich in einer Wohngemeinschaft mitten im Eixample. Das ist ein riesiges Wohnviertel, das Mitte des 19. Jahrhunderts als Altstadterweiterung von dem Stadtplaner Ildefons Cerdà entworfen, und über Jahrzehnte gebaut wurde. Die Gebäude sind auf riesigen quadratischen Grundrissen gebaut mit der Idee, grüne Innenhöfe in der Stadt zu schaffen. Heute sind diese Innenhöfe leider größtenteils bebaut.

Es gibt viele verrückte Geschichten aus der Zeit der Entstehung dieses Viertels. Es gab damals nur die kleine ummauerte Altstadt und die wohlhabenden Bürger und Bürgerinnen Barcelonas mussten schnell entscheiden, wo sie sich ihr Grundstück in der neu entstehenden modernen Stadt sicherten. Es gab noch kaum Straßen und Infrastruktur und man kaufte die Grundstücke unbebaut. Um Käufer anzulocken, wurden viele Tricks angewandt. Es wurden zum Beispiel neben den Grundstücken Straßenbahnschienen verlegt, so dass potenzielle Käufer dachten, dieses Grundstück sei besonders attraktiv, weil es gut erreichbar ist. War das Grundstück schließlich verkauft, verschwanden die Schienen wieder.

Der Quadratmeterpreis war am günstigsten, wenn man ein ganzes Quadrat kaufte (mehr als 1 Hektar groß!), solange es noch unbebaut war. Viele dieser Erstkäufer verkauften dann wieder einzelne Parzellen des Grundstücks für den mehrfachen Preis. So entstanden immer schmalere und teurere Häuser, weil die Käufer einer Parzelle, diese oft nochmal teilten und für den doppelten Preis weiterverkauften. Da die Gebäude alle die gleiche Tiefe haben, sind sehr lange Flure typisch für dieses Viertel. Besonders bei den schmaleren Parzellen gibt es zwischen der Fassade zur Straße und der Fassade in den riesigen Innenhof kleine Zimmer, die meist sehr dunkel sind. Unser Flur war gefühlte 30 Meter lang, aber dazu später.

Antoni Gaudís Bau der Sagrada Familia und sein tragisches Ende

Parallel zu dieser abenteuerlichen Stadterweiterung fing 1882 der junge Antoni Gaudí den Bau der Sagrada Familia an, mitten in dem quadratischen Raster Cerdàs. Über 40 Jahre ging Gaudí fast jeden Tag seines Lebens auf die Baustelle und experimentierte in seiner Werkstatt mit ungewöhnlichen neuen Arbeitsmethoden und Statikmodellen. 1926 wird Gaudí auf dem Weg zur Sagrada Familia von einer Straßenbahn angefahren und unerkannt in ein Armenkrankenhaus gebracht, wo er Tage später verstarb. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit mit großen Folgen! Vielleicht war er in Gedanken an einer neuen Idee für die Sagrada Familia, die heute immer noch nicht fertiggebaut ist. Viele Architekten haben seitdem mit mehr oder weniger Erfolg versucht, den Tempel in Gaudis Stil weiterzuführen.

Mein langer Flur und der gefährliche Fahrstuhl

Zurück zu meiner Wohnung mit dem extrem langen Flur, die nicht sehr weit von der Sagrada Familia entfernt war. Um in den kleinen Schlafzimmern nachts genug Luft zu bekommen, ließen wir die Türen zum Flur auf. Mein Zimmer lag direkt an einem sehr alten Fahrstuhl, so dass es bei offenem Fenster so laut rumste, dass an Schlafen nicht zu denken war. Der Fahrstuhl, innen mit dunklem Holz verkleidet, sah wunderschön aus, blieb aber manchmal zwischen zwei Stockwerken stehen. Dann musste man sehr lange einen Knopf drücken, woraufhin der Fahrstuhl mit einem lauten Krach erst einen Meter nach unten sauste, dann wieder nach oben, um schließlich wieder normal zu funktionieren. Ich bekam immer einen Schrecken und stellte mir vor, die Aufzugsseile reißen irgendwann einmal und ich rausche mitsamt dem Fahrstuhl 5 Stockwerke nach unten! Ich hatte mal in einem Film gesehen, dass man sich in diesem Fall am besten mit den Händen zwischen die seitlichen Wänden klemmt und kaum noch Gewicht auf den Füßen hat. Vorsichtshalber folgte ich meist diesem Rat, jedenfalls wenn ich alleine im Fahrstuhl war.

Von meinem Bett schaute ich direkt durch die halboffene Tür in unseren langen, dunklen Flur, was mir oft ein bisschen unangenehm war.

In so einem großen Gebäude ist es nie wirklich leise, so dass ich oft nachts aufwachte. Ich hörte den Nachbarn schnarchen und donnerte, wenn er gar nicht aufhörte, mit meinem Bettgestell ein paar mal an die Wand. Dann wurde es kurz leise, und wenn ich Glück hatte, war ich eingeschlafen, bevor es wieder losging. Oropax in den Ohren war die Lösung, womit die Geräuschkulisse gedämpft wurde.

Gaudís Geist steht in meiner Schlafzimmertür

Eines nachts, ich hatte bereits geschlafen, wachte ich von einem Geräusch an meiner Zimmertür auf. Im Halbschlaf sah ich eine Gestalt vor der Tür stehen. Er hielt in einer Hand eine Art Mobile mit vielen kleinen Säckchen, die daran hingen. Ich wusste sofort: Gaudí steht vor mir! In seiner Hand hielt er das Statikmodell der Sagrada Familia, das ich aus dem Gaudímuseum direkt neben dieser Kirche kannte.

Er gestikulierte wild, redete und zeigte auf das Modell. Anscheinend hatte er mir etwas unglaublich Wichtiges zu sagen. Da ich noch sehr verschlafen war, brauchte ich eine Weile, um zu merken, dass es nicht gerade normal ist, den Geist Gaudís im Schlafzimmer vor sich zu sehen. Aber warum hörte ich nicht, was er mir sagen wollte? Da fiel es mir ein: meine Oropax in den Ohren!

Schnell nahm ich die Ohrenstöpsel raus und „plopp“, in diesem Moment verschwand auch die Gaudíerscheinung. Ich habe in der gesamten Wohnung gesucht, er war einfach nicht mehr da. Warum auch, er hatte ja bereits alles Wichtige gesagt und vermutlich darauf gehofft, dass ich es an die Welt weitergebe.

Ich war verzweifelt. Beim Frühstück habe ich das Thema mit meinem Mitbewohner besprochen, der mir sagte, dass es eine Initiative gäbe, Gaudí heilig sprechen zu wollen. Damals brauchte man 3 Wunder oder besondere Merkmale, die eine Heiligsprechung vor dem Vatikan rechtfertigte. Mein Mitbewohner hatte einen Artikel gelesen, in dem stand, dass es bereits 2 dieser Wunder gab. An dieser Stelle bitte ich Menschen, die sich bei dem Thema besser auskennen als ich um Nachsicht. Meine Version einer möglichen Heiligsprechung Gaudís ist eventuell sehr vereinfacht dargestellt.

Wo lässt man eine Erscheinung registrieren?

Lag es jetzt also an mir, dieses letzte Puzzleteil hinzuzufügen? War Gaudís Heiligsprechung von meinem weiteren Vorgehen abhängig? An wen wendet man sich, wenn man eine Erscheinung registrieren will? Wir hatten viel Spaß mit der Vorstellung, dass ich in Barcelonas Rathaus gehe und frage, wo ich meine Gaudíerscheinung anmelden kann. Gibt es dafür extra Formulare?

Meine Geschichte ist so absurd, dass ich mich entschied, nicht damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Irgendwie klingt es auch eher wie eine Oropaxwerbung: Oropax, absoluter Geräuschschutz, selbst bei nächtlichen Erscheinungen!

Im Jahr 2000 wurde von der römisch-katholischen Kirche ein Seligsprechungsverfahren für Gaudí eingeleitet. Soweit ich weiß, gibt es dazu noch immer keine endgültige Entscheidung. Seit Gaudís Tod gibt es viele Diskussionen darüber, wie Gaudí die Sagrada Familia fertigbauen wollte und vielleicht hätte ich eine wichtige Information zu dieser Debatte beitragen können.

Was war Gaudís Botschaft?

Etwas mulmig war mir schon bei dem Gedanken, Gaudís Erscheinung könnte vielleicht eine Warnung zum Thema Bausicherheit der Sagrada Familia gewesen sein.

Zum Glück ist in den darauffolgenden Jahren, soweit ich weiß, kein größeres Unglück am Bau passiert.

Vielleicht hatte er auch nur zufällig das Statikmodell in der Hand und hat mir etwas ganz anderes gesagt. Zum Beispiel: „Sag mal, räumst du nie auf hier? Man könnte so viel machen aus diesem Raum!“ oder: „Sei bloß immer vorsichtig, wenn du über die Straße gehst!”

Das mit den Oropax konnte er ja nicht wissen, vermutlich gab es das gar nicht zu seiner Zeit. Ich fühle mich jedenfalls auch im Nachhinein noch sehr geehrt, dass Gaudí mich für diesen nächtlichen Besuch ausgesucht hat. Vermutlich wusste auch er, dass lange Flure und Tunnel Geistererscheinungen begünstigen.

  1. Susanne

    Liebe Stefanie, Deine Geister-Erscheinung hört sich sehr interessant an.
    Ich glaube, Du hast sie wirklich erlebt. Jedenfalls muß ich bestimmt in den nächsten Tagen darüber grübeln, was Gaudi Dir wohl sagen wollte. Sein Geheimnis, wo er seine Goldbarren versteckt hat? Oder er wollte Dich auf die Fehler aufmerksam machen, die beim Bau eures Hochhauses gemacht wurden?
    Ich freue mich auf die nächste Geschichte oder Begebenheit.

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