Blumen stehen auf dem Tisch und ich habe ein paar Luftballons aufgehängt. Heute vor genau 17 Jahren ist dieses annähernd 2 m große Glück in mein Leben gerauscht. Mit ein paar Hindernissen bei der Geburt, die wir aber schnell und gut überstanden haben. Vor der Schule noch schnell ein paar Kerzen ausgepustet und das erste Stück Kuchen für heute gegessen.
Leos Geburtstagswunsch: Schokokekskuchen, bei uns auch Hundekuchen genannt. Wie bekommt man am meisten Kalorien in einen Quadratzentimeter? Mit einem Schokokuchen, der hauptsächlich aus Schokolade, Butter und Keksen besteht, mhhhhh!
Geld und Improtheater
Ich habe Blumen gekauft und Geld daran gehängt, denn das war Leos Hauptwunsch von mir und der Familie: Geld. Als Überraschung ein Wochenendkurs für Improtheater, den ich am liebsten selber machen würde.
17 Jahre, das macht auch mich irgendwie richtig erwachsen und erwachsen sage ich hier nur, um nicht alt zu sagen. Heute spielen all die kleinen Storys und Ärgernisse mit meinem jugendlichen Sohn keine Rolle, ich fühle mich einfach nur beschenkt mit diesem Kind. Ich bin stolz und glücklich. Nach vielen Regentagen kommt gerade mal die Sonne raus und ich werde gleich mein Fahrrad nehmen und an den Strand fahren. Meinen Sohn feiern und das Leben!
Früher hätte ich den totalen Stress gehabt, große Einkäufe gemacht und einen Kindergeburtstag vorbereitet. Heute bin ich froh, dass Leo nach der Schule mit mir Pizza essen will. Ein Freund der Familie kommt auch zum Essen und wir werden ein Stündchen mit meinem Sohn verbringen. Dann wird er ein bisschen vorschlafen, um abends mit seinen Freunden feiern zu gehen. Freunde, von denen ich die meisten nicht kenne. Dankbar wird er ein paar Euros dafür von mir annehmen, um eine Runde Getränke auszugeben. Danach wird er bei einem Freund übernachten, den ich immerhin einmal 5 Minuten gesehen habe. Ich kenne sogar seinen Namen.
Früher Piñata heute sturmfrei übernachten
Wie schnell das alles geht! Wie aufregend war es früher, die schwitzenden Kindergesichter auf Geburtstagen anzumalen. Nach dem ersehnten Kuchen und den eilig ausgepackten Geschenken gab es bei uns meist eine Piñata. Die Piñata, eine Tradition aus Südamerika, ist ein großes Gebilde aus Pappmaché. Mal in Form eines Autos, eines Tieres oder eines riesigen Bonbons, gefüllt mit Süßigkeiten, kleinen Spielzeugen und Radiergummis. Das Ding wird sehr hoch aufgehängt und die Kinder donnern mit Stöcken dagegen, bis eine oder einer es schafft mit einem gezielten Schlag das Pappmachégebilde zu zertrümmern und es regnet Glück.
Dann stürzen sich 20 Kinder auf den Boden und versuchen, mit den Händchen möglichst viel abzugreifen. Manche, zu denen gehörte mein Sohn, hatten danach die Hände und Taschen voller Zeugs. Andere hatten 2,3 Bonbons und standen mit zitternder Unterlippe kurz vorm Heulen am Rande der Gruppe. Was für ein brutales Spiel! Verrückterweise wollten alle Kinder es jedes Jahr wieder gerne spielen.
Die Zeiten sind vorbei. An den Wochenenden verhandeln wir, um welche Uhrzeit Leo in den frühen Morgenstunden nach Hause kommen sollte. Dann versuche ich meist noch den ungefähren Ort herauszufinden, wo sich die Truppe Jugendlicher aufhalten wird. Wenn ich heute Glück habe, bekomme ich auf Nachfragen die Handynummer von dem Kumpel, bei dem Leo übernachtet. Dieser Kumpel hat natürlich gerade sturmfrei und ich vermute, es werden viele Dinge heute Nacht passieren, von denen ich mir nicht annähernd eine Vorstellung mache. Und wahrscheinlich ist das auch besser so.
Eingesperrt in der Zelle der Mütter, die zu wenig wissen über ihren Sohn
Ich male mir manchmal aus, was ich mache, wenn Leo nicht über Handy erreichbar ist: Die Polizei anrufen? „Hallo, mein Sohn ist heute Nacht nicht wiedergekommen.“
„Wo er war? Mit wem?“
„Mhhh, das weiß ich leider alles nicht. Können Sie mir helfen?“ Vermutlich würde mich die Polizei direkt in Handschellen abführen. In die Zelle der Mütter, die zu wenig über ihren Sohn wissen. Mein Sohn hat im Moment keinerlei Interesse, mehr als das unbedingt Notwendige mit mir zu teilen. Seine Welt gehört ihm und ich bin draußen. Diese neue Welt ist voller Abenteuer, neuer Erfahrungen, Improvisation und Überraschungen. Voller Emotionen auch: Heute noch unsterblich verliebt, morgen dramatisch enttäuscht. Alles ist möglich und wunderbar in einem Moment und im nächsten ist alles Scheiße und die Welt am Abgrund. Leos Freunde sind seine Familie und sie sind es, mit denen er mitschwingt und in vollen Zügen lebt und erlebt.
Früher kannte ich jeden Freund und jede Freundin und immer auch die Eltern. Übernachtungsbesuche waren mit anderen Eltern abgesprochen und am nächsten Tag bekam man ein lustiges Foto geschickt, das zeigt wie sich alle Jungs in Pyjama eine riesengroße Pizza teilten. Dann wurde mir von den Eltern erzählt, was alles in der Nacht passiert war. Ich habe mich bedankt und mit mittelmäßigem Enthusiasmus daran gedacht, dass diese drei lustigen Kerlchen bald auch bei uns übernachten werden 😉
Weg von Mama hinein in die Welt der Freiheit
Heute kommt nachts oder morgens ein junger Mann in meine Wohnung, dem ich ansehe, dass er sich sehr zusammenreißt, um aufgeräumt und fit zu wirken. Ich frage dann meist: „Na Leo, wie war’s denn?“
„Gut.“ ist seine Antwort und er schleppt sich in sein ungemachtes Bett.
In Distanz zu mir zu gehen und möglichst wenig mit mir zu teilen, ist Leos Weg in die neue Freiheit. Weg von Mama hinein in die Welt. Für mich ist das nicht immer einfach. Heute ist Leos Geburtstag und ich sitze vor seinen Blumen, die mich selber vermutlich mehr beglücken als ihn. Es ist schön und tröstend für mich zu wissen, dass Leo irgendwann wieder ein bisschen mehr mit mir teilen kann. Ich werde warten. Mit offenen Armen und offenem Herzen. Bis dahin wünsche ich ihm die besten Abenteuer, die ganz große Palette an Emotionen und viele Schutzengel, die ein bisschen darauf achten, dass alles gut geht.
Selma
Ich werde dafür kämpfen, dass den Müttern heutzutage ein goldenes Ehrenkreuz verliehen wird.